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NYT SEP 12, 2001
Gespräch mit Alexander Kluge
zum 11.September
Rede von Jürgen Habermas
zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2002
Sechs Monate danach
Rede von Susan Sontag
zur Verleihung des Friedenspreises 2003

Der 11.September 2001

New York City: Sep 11, 2001

Grave Silence

By MAUREEN DOWD

NYT

WASHINGTON - If you called yesterday afternoon to the White House switchboard, that famously efficient Washington institution, you would hear a brief recording saying to hold for an operator and then the line would go dead.

For many hours, the most eerie thing about the American capital, under attack for the first time since the British burned the White House in the War of 1812, was the stillness at the center of the city.

New York was a clamorous inferno of pain, confusion and fear, with Mayor Rudolph Giuliani on the scene in the rubble of the World Trade Center towers and on TV trying to reassure residents about schools and transportation and hospitals.

Manhattan had the noise of the grave. Washington had the silence of the grave. Downtown you could smell the smoke and see the plume rising from a Pentagon full of carnage and fire and see the flag over the emptied White House flying at half-staff. NYC: World Trade Center

But until the nation's leaders reappeared on television after nightfall to speak of what President Bush called their "quiet, unyielding anger," no one understood what had happened. No one knew what might happen next. Would there be a gas attack? Would the White House blow up? Would another plane crash into the Capitol?

People were so hungry for clues that they gathered, as their parents did after Pearl Harbor, around radios, huddled in small groups a block from a cordoned-off White House.

A doctor, Mark Cinnamon, 54, held up a radio broadcasting Peter Jennings interviewing Gov. George Pataki, while 15 strangers leaned in to listen. "We're just sharing, with an old battery-operated radio some guy handed me," he said.

On a gorgeous blue fall day, terrorism had turned into war. The city that leads the world took on a weird neutron-bomb quality. No one even tried to pretend, as we are supposed to, that no matter what, terrorists cannot disrupt our government.

For much of the day we weren't sure where the president was. There were statements floating in from him from various secure zones in the air or underground. The vice president was out of sight. We didn't know where the first lady was. The secretary of state was in the air somewhere. The Capitol had been evacuated. Congressional leaders had gone off to a bunker somewhere. The Joint Chiefs of Staff could not be immediately accounted for. The C.I.A. and F.B.I. were stunned. Most vividly at his post was Donald Rumsfeld, who helped rescue victims at the Pentagon and stayed all day in the smoky command center.

Washington: Pentagon White House officials had fled the building five minutes after the plane crashed into the Pentagon at 9:45 a.m., streaming out with some men screaming and some women barefoot and carrying their high heels.

"That floored me," said one federal official, stranded at a bus stop. "This is supposed to be the most secure place in the world. I said, `Why are you running? You can leave but just slow down a little.' "

Federal buildings were evacuated, coffee shops shuttered, dress shops barred. A few tourists wandered around in shorts looking confused as military planes patrolled above. D.C. police carried rifles, and Secret Service agents in black Mustangs and green Luminas blocked off the streets adjacent to the White House.

The country cannot be completely protected from fanatics willing to die. And yet, it was chilling to see how unprepared those in charge of planning seemed, after years of warnings about just such an attack. The top Congressional leaders were calling each other, unsure whether to stay or go, or where to go.

"There was some confusion; no alarm bells went off," said Mitch Daniels, the Bush budget director, about the scene in the Old Executive Office Building, adding that people had decided to go "by word of mouth."

Even the president didn't seem sure of where to go. NYC: World Trade Center

"He is at the very top of the United States," said Tammie Owens, a subway supervisor in a bright yellow uniform, who felt that a president, like the British royal family during the blitz, needed to reassure people with his presence. "And the White House is where he should be."

David McCullough, the historian who wrote the biographies of Harry Truman and John Adams, disagreed. Mr. McCullough happened to be in town for a Laura Bush book festival and had just volunteered to give blood at a hospital. "All presidents do what they're told on matters of security," he said. "The most important thing is that the president is alive and safe and knows what's going on. We haven't seen this level of destruction on our home ground since the Civil War. This isn't the `Titanic' movie. It's real."

Copyright 2001 The New York Times Company

"Die Menschen sind noch nicht vorgehärtet"

Alexander Kluge über die Katastrophe vom 11. September 2001 und die Wahrnehmung von Terrorismus und Krieg

ein Gespräch mit Willi Winkler, Sueddeutsche Zeitung vom 12.10.2001
Alexander KlugeAlexander Kluge, Jahrgang 1932, hat sich von den deutschen Schriftstellern am gründlichsten mit dem Krieg auseinander gesetzt. Im vergangenen Jahr erschien bei Suhrkamp ein zweibändiges Riesenwerk unter dem Titel Chronik der Gefühle, das auch sein Buch über Stalingrad (Schlachtbeschreibung) und den Bericht über den Luftangriff auf seine Heimatstadt Halberstadt enthält. Kluge rekonstruiert eine Geschichte der Deutschen, die so weit zurück reicht wie das Gedächtnis der Dichter, schreibt dabei aber immer vom emotionalen Mehrwert, von den Gefühlen zwischen den bekannten Aktionen. Diese Arbeit des Historikers setzt er in seinen Filmen fort, in den letzten Jahren leider nur mehr im mikroskopischen Theater seiner mitternächtlichen Sendungen. Zur Buchmesse erscheint bei Zweitausendeins Der unterschätzte Mensch, Summe und jüngstes Ergebnis seiner jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit Oskar Negt. Das Buch endet mit dem Angriff auf das World Trade Center.

SZ: In Hans Magnus Enzensbergers Fortschreibung der Diderot’schen Enzyklopädie haben Sie den Artikel über den Krieg verfasst und folgende Frage aufgeworfen: "Kann ein Einzelmensch, kann ein Amokschütze der Menschheit den Krieg erklären?"

KLUGE: Das kann er wohl nicht. Nach den furchtbaren Massakern im 30-jährigen Krieg und in den Religionskriegen entsteht bei den Friedensverhandlungen in Münster eine Theorie des Krieges. Die Gewalt soll eingeschränkt werden. Krieg ist danach eigentlich eine Errungenschaft. Für den Theoretiker Clausewitz träumt der Krieg immer von der absoluten Gewalt, aber alle Kriege, die auf ihre Omnipotenz vertrauen, werden verloren. Das ist eine sehr harte Kritik am Nationalismus und am beginnenden Volkskrieg. Zu jener Zeit spricht Heinrich von Kleist nicht wirklich anders als ein islamischer Fundamentalist. In der Hermannsschlacht (1808) heißt es, dass man die Franzosen schlachten und zerfetzen müsse.

Und im Katechismus der Deutschen ist er der größte Nationalist, den man sich vorstellen kann.

Was er aber nicht immer war. Einmal reitet er mit seiner Schwester nach Boulogne, von wo aus die napoleonischen Soldaten nach England übersetzen wollen. Mit ihren Waffen, ihrer technischen Intelligenz sind diese Soldaten der Französischen Revolution für Kleist die Speerspitze Europas. Jetzt brauchen sie nur noch Immanuel Kants Philosophie, dann wären sie kriegstüchtig und die Bewaffnung des Weltgeistes vollkommen. Der Artikel der alten Enzyklopädie über den Krieg stammt von 1757, aus der Zeit der Kabinettskriege, deshalb wird damals ein eher gärtnerisches Verhältnis zur Gewalt formuliert. Und in diesem Sinn kann man das, was jetzt in Afghanistan gemacht wird, nicht als Krieg bezeichnen. Es handelt sich um eine Pazifikation, so wie Karthago durch Rom zerstört wurde.

Nach der ersten Bombardierung sah man sofort ein Video mit Osama bin Laden, der der westlichen Welt den Heiligen Krieg erklärte. Der kommt in der Enzyklopädie noch nicht vor.

Mich hat am meisten verblüfft, dass das Video vorbereitet war und die nächsten Schritte des Gegners, hier Amerika, im Kalkül bereits enthalten sind. Mit der gleichen teuflischen oder assassinischen Besessenheit, mit der die Flugzeuge in die Twin Towers hineinstießen, macht Osama bin Laden die Taten des Gegners, zu denen er aus Prestigegründen, aus Irrtum, aber auch aus Eigenwillen und Selbstbewusstsein neigen wird, zum Vehikel dieser Auseinandersetzung. Aber ich bin kein Richter darüber, ob da ein Krieg stattfindet oder nicht.

Aber Sie sind Jurist.

Ich kann es nur als Beobachter sagen. Wenn Sie an eine wirklich gefährliche Krise denken, die von 1963 um Kuba, dann haben Sie da nicht bloß Kennedy und Chruschtschow, sondern eine ganze Generation gebildeter Leute, die alle wissen, was 1914 ist. Die haben tatsächlich diskutiert, ob sie sich in einer Lage wie 1914 vor dem Kriegsausbruch befänden. Sind wir in einem wesentlichen Punkt unseres Selbstbewusstseins verletzt? Wie verhalten wir uns zu Kleinstaaten, wie zu großen? Welche Gefahren lauern da? Aus dem Bewusstsein, dass man hier noch die Balance halten konnte, ist als intellektuelles Konstrukt die Abschreckungstheorie entwickelt worden. Sie hat ein halbes Jahrhundert lang den Krieg zwischen den Großmächten verhindert. Seit der Implosion der Sowjetunion ist der Schein entstanden, man könnte wieder wie vor 1914 vorgehen: Krieg als Karambolage. Es gibt nämlich keine neue Generation von Politikern, die bei diesen sehr viel instabileren Verhältnissen als im alten Duopol über irgendwelche Erfahrungen verfügte.

Zum Beispiel mit Afghanistan.

Können Sie mir genau die Grenze zwischen Tadschikistan und Usbekistan nennen? Wissen Sie, wie viele Schiiten im Westteil leben? Was gibt es noch an mongolischen Überresten im Landesinnern? Existieren noch Nachfahren der Soldaten Alexanders des Großen? Dieses Afghanistan ist für mich als Kind immer der Begriff für Ferne gewesen. 1928, als König Amanullah mit großem populären Erfolg Deutschland besuchte, gab es in Berlin ein Taxifahrerlied: Afghanistan, Afghanistan, das geht dich Affe gar nischt an! Die merken, wie weit das weg ist. Und der letzte Sieg der großdeutschen Diplomatie fand am Tag der Kapitulation statt: Am 8. Mai 1945 wurde in Kabul die Rechtsnachfolge von Hitler zu Dönitz offiziell anerkannt. Auch hier: Dieses Afghanistan ist vollkommen weg vom Weltgeschehen.

Und im Bild so nah: Rudyard Kipling besingt Afghanistan als das Land der grausamsten Wilden: "When you're wounded and left on Afghanistan's plains,/And the women come out to cut up what remains,/Jest roll to your rifle and blow out your brains/An’ go to your Gawd like a soldier."

Das ist ein Spiegelbild der bitteren Niederlage, die die Engländer 1842 erleben mussten und von der auch Theodor Fontanes Ballade berichtet. Der Hort der Zivilisation wird von Grenzstämmen besiegt. "Einer kam heim aus Afghanistan." Das ist so beleidigend wie für Rom die Schlacht am Teutoburger Wald.

Bin Laden in seiner Höhle im Hindukusch ist uns eigentlich gar nicht so fremd, sondern eine Schreckensfigur aus dem Stummfilm, ein voll vernetzter Dr. Mabuse, der nach der Weltherrschaft strebt.

Die Kunst zeigt dieses Ahnungsvermögen. Im Remake von King Kong (1976) steigt dieser Affe, der aus seiner Heimat weggeschleppt wurde, aufs World Trade Center, zermalmt in seiner Faust Flugzeuge und hält in seiner anderen Hand sehr zärtlich die Weiße Frau. Er endet als sterbender Sieger gegen die Flugzeuge, von denen ja einige in die Hochhaustürme hineinrammen. Diese Phantasie stammt ursprünglich aus dem Jahr 1933. Woher kommt das? Oder nehmen Sie den jüngsten Roman von Tom Clancy. Ein japanisches Verkehrsflugzeug wird umgelenkt, stürzt ins Capitol, tötet Senat, Abgeordnete, den Präsidenten. Nur der Sicherheitschef bleibt übrig und rettet Amerika. Wieder ein enormes Ahnungsvermögen. Dabei ist es absolut unwahrscheinlich, dass Terroristen solche Bücher lesen.

Die Attentäter lesen keine Bücher, aber wie wäre es mit der Wahnvorstellung, dass Osama bin Laden den vagen Plan im Herzen trägt: wir müssen gegen den neu-bösen Feind vorgehen, und eine Arbeitsgruppe in Hamburg-Harburg sieht Independence Day und Air Force One und vielleicht sogar Mars Attacks!. Sie spielen eine Neuauflage von Kiplings great game, in hoch auflösender Fernsehqualität und mit ganz passablem Ton.

Ich bin mir ganz sicher, dass die nicht ins Kino gegangen sind. Für die Anschläge reicht der Hass. Die Kenntnis, wie man mit äußerster Grausamkeit äußerst geschickt Zerstörungen an einem Hassgegner anrichtet, ist dem Menschen eigentümlich. Man nimmt dem anderen den Besitz seines Ackers und den Besitz seiner Hoffnung. Die Opfer können sich nicht wehren, weil der Verlust sie zu sehr entmutigt. Jetzt bildet sich an der Seite, meist von Kindern reicher Leute, ein bewaffneter Arm. Das ist der Terrorismus.

Terrorismus lebt offensichtlich sehr stark von Ideologieproduktion.

Ideologie heißt bei Karl Marx "notwendig falsches Bewusstsein". Wie kommt es dazu? Der Terrorist blickt nicht in sich hinein, in ein Gewissen, sondern spiegelt sich in dem Elend, das er mit angesehen hat. Terroristen sind die geborenen Stellvertreter. Sie sind Schauspieler eines Idols, Schauspieler einer Entrechtung, die sie gar nicht erlebt haben. Das nimmt dem Fanatismus aber nichts von seiner Unbeugsambarkeit. Wenn Hitler noch in seinem Testament im Bunker von Berlin schreibt: Ich habe das und das gemacht, aber das deutsche Volk hat versagt, klingt er wie ein Schauspieler.

Copyright © Süddeutsche Zeitung

Jürgen Habermas

Dankrede zur Verleihung des Friedenspreis des des deutschen Buchhandels
14.Okt.2001

Juergen Habermas bei seiner Rede am 14.Okt.2001 Glaube, Wissen - Öffnung

Wenn uns die bedrückende Aktualität des Tages die Wahl des Themas sozusagen aus der Hand reißt, ist die Versuchung natürlich groß, mit den John Waynes unter uns Intellektuellen um den schnellsten Schuss aus der Hüfte zu konkurrieren. Noch vor kurzem schieden sich die Geister an der Frage, ob und wie weit wir uns einer gentechnischen Selbstinstrumentalisierung unterziehen oder gar das Ziel einer Selbstoptimierung verfolgen sollen. Über die ersten Schritte auf diesem Weg war zwischen den Wortführern der organisierten Wissenschaft und der Kirchen ein Kampf der Glaubensmächte entbrannt. Die eine Seite befürchtete Obskurantismus und eine wissenschaftsskeptische Einhegung archaischer Gefühlsreste, die andere Seite wandte sich gegen den szientistischen Fortschrittsglauben eines kruden Naturalismus, der die Moral untergräbt. Aber am 11. September ist die Spannung zwischen säkularer Gesellschaft und Religion auf eine ganz andere Weise explodiert. Die zum Selbstmord entschlossenen Mörder, die zivile Verkehrsmaschinen zu lebenden Geschossen umfunktioniert und gegen die kapitalistischen Zitadellen der westlichen Zivilisation gelenkt haben, waren, wie wir ja aus Attas Testament wissen, durch religiöse Überzeugungen motiviert. Für sie verkörperten die Wahrzeichen der globalisierten Moderne den Großen Satan. Aber auch uns, dem universalen Augenzeugen des "apokalyptischen" Geschehens, drängten sich am Fernsehschirm biblische Bilder auf. Und die Sprache der Vergeltung, in der zunächst - ich sage: zunächst - der amerikanische Präsident reagierte, erhielt einen alttestamentarischen Klang. Als hätte das verblendete Attentat im Innersten der säkularen Gesellschaft eine religiöse Saite in Schwingung versetzt, füllten sich überall die Synagogen, Kirchen und Moscheen. Diese untergründige Korrespondenz hat die zivilreligiöse Trauergemeinde im New Yorker Stadion vor drei Wochen nicht zu einer symmetrischen Einstellung des Hasses verleitet.

Trotz seiner religiösen Sprache ist der Fundamentalismus, wie wir wissen, ein ausschließlich modernes Phänomen. An den islamischen Tätern fiel sofort die Ungleichzeitigkeit der Motive und der Mittel auf. Darin spiegelt sich eine Ungleichzeitigkeit von Kultur und Gesellschaft, die sich in den Heimatländern der Täter erst infolge einer beschleunigten und radikal entwurzelnden Modernisierung herausgebildet hat. Was unter glücklicheren Umständen immerhin als ein Prozess schöpferischer Zerstörung erfahren werden konnte, stellt in diesen Ländern keine erfahrbare Kompensation für den Schmerz des Zerfalls traditioneller Lebensformen in Aussicht. Dabei ist die Aussicht auf Besserung der materiellen Lebensverhältnisse nur eines. Entscheidend ist der durch Gefühle der Erniedrigung blockierte Geisteswandel, der sich politisch in der Trennung von Religion und Staat ausdrückt. Auch in Europa, dem die Geschichte Jahrhunderte eingeräumt hat, um eine sensible Einstellung zum Januskopf der Moderne zu finden, ist "Säkularisierung" immer noch, wie sich am Streit um die Gentechnik zeigt, mit hoch ambivalenten Gefühlen besetzt. Verhärtete Orthodoxien gibt es im Westen ebenso wie im Nahen und im Ferneren Osten, unter Christen und Juden ebenso wie unter Moslems. Wer einen Krieg der Kulturen vermeiden will, muss sich die unabgeschlossene Dialektik des eigenen, abendländischen Säkularisierungsprozesses in Erinnerung rufen. Der Krieg gegen den Terrorismus ist kein Krieg, und im Terrorismus äußert sich auch - ich sage: auch - der verhängnisvoll sprachlose Zusammenstoß von Welten, die jenseits der stummen Gewalt der Terroristen wider Raketen eine gemeinsame Sprache entwickeln müssen. Angesichts einer Globalisierung, die sich über entgrenzte Märkte durchsetzt, erhofften sich viele von uns eine Rückkehr des Politischen in anderer Gestalt. Nicht in der Ursprungsgestalt des globalisierten Sicherheitsstaates, also in den Dimensionen von Polizei, Geheimdienst und jetzt eben auch Militär, sondern als weltweit zivilisierende Gestaltungsmacht. Im Augenblick bleibt uns nicht viel mehr als die fahle Hoffnung auf eine letzte Vernunft und ein wenig Selbstbesinnung. Denn jener Rest der Sprachlosigkeit entzweit auch das eigene Haus. Den Risiken einer andernorts entgleisenden Säkularisierung werden wir nur mit Augenmaß begegnen, wenn wir uns darüber klar sind, was Säkularisierung in unseren eigenen postsäkularen Gesellschaften bedeutet. In dieser Absicht nehme ich heute ein altes Thema, Glaube und Wissen, wieder auf. Sie dürfen keine Sonntagsrede erwarten, die polarisiert, die die einen aufspringen, die anderen sitzen bleiben lässt.

Das Wort Säkularisierung hatte zunächst die juristische Bedeutung der erzwungenen Übereignung von Kirchengütern an die säkulare Staatsgewalt. Diese Bedeutung ist auf die Entstehung der kulturellen und gesellschaftlichen Moderne insgesamt übertragen worden. Seitdem verbinden sich mit "Säkularisierung" entgegen gesetzte Bewertungen, je nachdem ob wir die erfolgreiche Zähmung der kirchlichen Autorität durch die weltliche Gewalt oder den Akt der widerrechtlichen Aneignung in den Vordergrund rücken. Nach der einen Lesart werden religiöse Denkweisen und Lebensformen durch vernünftige, jedenfalls überlegene Äquivalente ersetzt; nach der anderen Lesart werden die modernen Denk- und Lebensformen als illegitim entwendete Güter diskriminiert. Das Verdrängungsmodell legt eine fortschrittsoptimistische Deutung der entzauberten, das Enteignungsmodell eine verfallstheoretische Deutung der obdachlosen Moderne nahe. Aber beide Lesarten, denke ich, machen denselben Fehler. Sie betrachten die Säkularisierung als eine Art Nullsummenspiel zwischen den kapitalistisch entfesselten Produktivkräften von Wissenschaft und Technik auf der einen, den haltenden Mächten von Religion und Kirche auf der anderen Seite. Dieses Bild passt nicht zu einer postsäkularen Gesellschaft, die sich auf das Fortbestehen religiöser Gemeinschaften in einer sich fortwährend säkularisierenden Gesellschaft einstellt. Ausgeblendet bleibt in diesem zu engen Bild vor allem die zivilisierende Rolle eines demokratisch aufgeklärten Commonsense, der sich im kulturkämpferischen Stimmengewirr gleichsam als dritte Partei zwischen Wissenschaft und Religion einen eigenen Weg bahnt. Gewiss, aus der Sicht des liberalen Staates verdienen nur die Religionsgemeinschaften das Prädikat "vernünftig", die aus eigener Einsicht auf eine gewaltsame Durchsetzung ihrer Glaubenswahrheiten Verzicht leisten. Diese Einsicht verdankt sich einer dreifachen Reflexion der Gläubigen auf ihre Stellung in einer pluralistischen Gesellschaft. Das religiöse Bewusstsein muss erstens die Begegnung mit anderen Konfessionen und anderen Religionen kognitiv verarbeiten. Es muss sich zweitens auf die Autorität von Wissenschaften einstellen, die das gesellschaftliche Monopol an Weltwissen innehaben. Schließlich muss es sich auf Prämissen eines Verfassungsstaates einlassen, der sich aus einer profanen Moral begründet. Ohne diesen Reflexionsschub entfalten die Monotheismen in rücksichtslos modernisierten Gesellschaften ein destruktives Potential. Das Wort "Reflexionsschub" legt freilich die falsche Vorstellung eines einseitig vollzogenen und abgeschlossenen Prozesses nahe. Tatsächlich findet diese reflexive Arbeit bei jedem neu aufbrechenden Konflikt auf den Umschlagplätzen der demokratischen Öffentlichkeit eine Fortsetzung.

Sobald eine existentiell relevante Frage, denken Sie an die Gentechnik, auf die politische Agenda gelangt, prallen die Bürger, gläubige wie ungläubige, mit ihren weltanschaulich imprägnierten Überzeugungen aufeinander und erfahren so das anstößige Faktum des weltanschaulichen Pluralismus. Wenn sie mit diesem Faktum im Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit gewaltlos umgehen lernen, erkennen sie, was die in der Verfassung festgeschriebenen säkularen Entscheidungsgrundlagen in einer postsäkularen Gesellschaft bedeuten. Im Streit zwischen Wissens- und Glaubensansprüchen präjudiziert nämlich der weltanschaulich neutrale Staat politische Entscheidungen keineswegs zugunsten einer Seite. Die pluralisierte Vernunft des Staatsbürgerpublikums folgt einer Dynamik der Säkularisierung nur insofern, als sie im Ergebnis zur gleichen Distanz von starken Traditionen und weltanschaulichen Inhalten nötigt. Lernbereit bleibt sie aber, ohne ihre Eigenständigkeit preiszugeben, gleichsam osmotisch nach beiden Seiten hin, zur Wissenschaft hin und zur Religion hin, geöffnet.

Natürlich muss sich der Commonsense, der sich über die Welt viele Illusionen macht, von den Wissenschaften vorbehaltlos aufklären lassen. Aber die in die Lebenswelt eindringenden wissenschaftlichen Theorien lassen den Rahmen unseres Alltagswissens im Kern unberührt. Wenn wir über die Welt, und über uns als Wesen in der Welt, etwas Neues lernen, verändert sich der Inhalt unseres Selbstverständnisses. Kopernikus und Darwin haben das geozentrische und das anthropozentrische Weltbild revolutioniert. Dabei hat die Zerstörung der astronomischen Illusion über den Umlauf der Gestirne geringere Spuren in der Lebenswelt hinterlassen als die biologische Desillusionierung über die Stellung des Menschen in der Naturgeschichte. Wissenschaftliche Erkenntnis scheint unser Selbstverständnis umso mehr zu beunruhigen, je näher sie uns auf den Leib rückt. Die Hirnforschung belehrt uns über die Physiologie unseres Bewusstseins. Aber verändert sich damit jenes intuitive Bewusstsein von Autorschaft und Zurechnungsfähigkeit, das alle unsere Handlungen begleitet?

Wenn wir mit Max Weber den Blick auf die Anfänge der "Entzauberung der Welt" lenken, sehen wir, was auf dem Spiel steht. Die Natur wird in dem Maße, wie sie der objektivierenden Betrachtung und kausalen Erklärung zugänglich gemacht wird, entpersonalisiert. Die wissenschaftlich erforschte Natur fällt aus dem sozialen Bezugssystem von Personen, die sich gegenseitig Absichten und Motive zuschreiben, heraus. Was wird nun, so können wir heute fragen, aus solchen Personen, wenn sie sich nach und nach selber unter naturwissenschaftliche Beschreibungen subsumieren? Wird sich der Commonsense am Ende vom kontra-intuitiven Wissen der Wissenschaften nicht nur belehren, sondern mit Haut und Haaren konsumieren lassen? Der Philosoph Winfrid Sellars hat diese Frage 1960 (in einem berühmten Vortrag über "Philosophy and the Scientific Image of Man") mit dem Szenario einer Gesellschaft beantwortet, in der die altmodischen Sprachspiele unseres Alltages zugunsten der objektivierenden Beschreibung von Bewusstseins-Vorgängen außer Kraft gesetzt worden sind.

Der Fluchtpunkt dieser Naturalisierung des Geistes ist ein wissenschaftliches Bild vom Menschen, das auch unser Selbstverständnis vollständig entsozialisiert. Das könnte freilich nur gelingen, wenn die Intentionalität des menschlichen Bewusstseins und die Normativität unseres Handelns in einer solchen Selbstbeschreibung ohne Rest aufgingen. Die erforderlichen Theorien müssten beispielsweise erklären, wie Personen Regeln - grammatische, begriffliche oder moralische Regeln - befolgen oder verletzten können. Sellars Schüler haben das aporetische Gedankenexperiment ihres Lehrers als Forschungsprogramm missverstanden, das sie bis heute verfolgen. Das Vorhaben einer naturwissenschaftlichen Modernisierung unserer Alltagspsychologie hat sogar zu Versuchen einer Semantik geführt, die gedankliche Inhalte biologisch erklären will. Aber auch diese avanciertesten Ansätze scheinen an jene Differenz von Sein und Sollen nicht heranzureichen, die wir meinen, wenn wir Regeln verletzen.

Wenn man beschreibt, wie eine Person etwas getan hat, was sie nicht gewollt hat und was sie auch nicht hätte tun sollen, dann beschreibt man sie - aber eben nicht so wie ein naturwissenschaftliches Objekt. Denn in die Beschreibung von Personen gehen stillschweigend Momente des vorwissenschaftlichen Selbstverständnisses von sprach- und handlungsfähigen Subjekten ein. Wenn wir einen Vorgang als die Handlung einer Person beschreiben, wissen wir beispielsweise, dass wir etwas beschreiben, das nicht nur wie ein Naturvorgang erklärt, sondern erforderlichenfalls auch gerechtfertigt werden kann. Im Hintergrund steht das Bild von Personen, die voneinander Rechenschaft fordern können, die von Haus aus in normativ geregelte Interaktionen verwickelt sind und sich in einem Universum öffentlicher Gründe begegnen.

Diese im Alltag mitgeführte Perspektive erklärt die Differenz zwischen dem Sprachspiel der Rechtfertigung und dem der bloßen Beschreibung. An diesem Dualismus finden auch die nicht-reduktionistischen Erklärungsstrategien eine Grenze. Das Bewusstsein von rechenschaftspflichtiger Autorschaft ist der Kern eines Selbstverständnisses, das sich nur der Perspektive von Beteiligten und eben nicht von Beobachtern erschließt. Der szientistische Glaube an eine Wissenschaft, die eines Tages das personale Selbstverständnis durch eine objektivierende Selbstbeschreibung nicht nur ergänzt, sondern ablöst, ist nicht Wissenschaft, sondern schlechte Philosophie. Auch dem wissenschaftlich aufgeklärten Commonsense wird es keine Wissenschaft abnehmen, beispielsweise zu beurteilen, wie wir unter molekularbiologischen Beschreibungen, die gentechnische Eingriffe möglich machen, mit vorpersonalem menschlichen Leben umgehen sollen. Der Commonsense ist also mit dem Bewusstsein von Personen verschränkt, die Initiativen ergreifen, Fehler machen und Fehler korrigieren können. Er behauptet gegenüber den Wissenschaften eine eigensinnige Perspektivenstruktur. Mit diesem, wie ich denke, naturalistisch nicht greifbaren Autonomiebewusstsein behauptet der Commonsense auf der anderen Seite auch den Abstand zu einer religiösen Überlieferung, von deren normativen Gehalten wir gleichwohl zehren. Gewiss, der demokratische Commonsense der Staatsbürger hat, wenn man so will, im vernunftrechtlich konstruierten Gebäude des demokratischen Verfassungsstaates Platz genommen. Und auch das egalitäre Vernunftrecht hat religiöse Wurzeln. Aber diese vernunftrechtliche Legitimation von Recht und Politik speist sich aus längst profanisierten Quellen. Der Religion gegenüber beharrt deshalb der demokratisch aufgeklärte Commonsense auf Gründen, die nicht nur für Angehörige einer Glaubensgemeinschaft akzeptabel sind. Das weckt freilich auf Seiten der Gläubigen auch den Argwohn, dass die abendländische Säkularisierung doch eine Einbahnstraße sein könne, die die Religion am Rande liegen lässt.

Die Kehrseite der Religionsfreiheit ist tatsächlich eine Pazifizierung des weltanschaulichen Pluralismus, die ungleiche Folgelasten hatte. Bisher mutet ja der liberale Staat nur den Gläubigen unter seinen Bürgern zu, ihre Identität gleichsam in öffentliche und private Anteile aufzuspalten. Sie sind es, die ihre religiösen Überzeugungen in eine säkulare Sprache übersetzen müssen, bevor ihre Argumente Aussicht haben, die Zustimmung von Mehrheiten zu finden. So machen heute Katholiken und Protestanten, wenn sie für die befruchtete Eizelle außerhalb des Mutterleibes den Status eines Trägers von Grundrechten reklamieren, den (vielleicht vorschnellen) Versuch, die Gottes-Ebenbildlichkeit des Menschengeschöpfs in die säkulare Sprache des Grundgesetzes zu übersetzen. Die Suche nach Gründen, die auf allgemeine Akzeptabilität abzielen, würde nur dann nicht zu einem unfairen Ausschluss der Religion aus der Öffentlichkeit führen und die säkulare Gesellschaft ihrerseits nur dann nicht von wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung abschneiden, wenn sich auch die säkulare Seite ein Gespür für die Artikulationskraft religiöser Sprachen bewahrte. Die Grenze zwischen säkularen und religiösen Gründen ist ohnehin fließend. Deshalb sollte die Festlegung dieser umstrittenen Grenze als eine kooperative Aufgabe verstanden werden, die von beiden Seiten fordert, auch die Perspektive der jeweils anderen einzunehmen.

Der demokratisch aufgeklärte Commonsense ist kein Singular, sondern beschreibt die mentale Verfassung einer vielstimmigen Öffentlichkeit. Säkulare Mehrheiten dürfen keine Beschlüsse ausdrücken, bevor sie nicht den Einspruch von Opponenten, die sich davon in ihren Glaubensüberzeugungen verletzt fühlen, Gehör geschenkt haben; und sie sehen, was daraus zu lernen ist. In Anbetracht der religiösen Herkunft seiner moralischen Grundlagen sollte der liberale Staat mit der Möglichkeit rechnen, dass er angesichts ganz neuer Herausforderungen das Artikulationsniveau der eigenen Entstehungsgeschichte nicht einholt. Die Sprache des Marktes dringt heute in alle Poren ein und presst alle zwischenmenschlichen Beziehungen in das Schema der Orientierung an je eigenen Präferenzen. Das soziale Band, das aus gegenseitiger Anerkennung geknüpft wird, geht aber in den Begriffen des Vertrages, der rationalen Wahl und der Nutzungsmaximierung nicht auf. Aus diesem Grunde wollte Kant das kategorische Sollen nicht im Sog aufgeklärten Selbstinteresses verschwinden lassen. Er hat die Willkürfreiheit zur Autonomie erweitert und damit das erste große Beispiel für eine zwar säkularisierende, aber zugleich rettende Dekonstruktion von Glaubenswahrheiten gegeben. Bei Kant findet sich die Autorität göttlicher Gebote in der unbedingten Geltung moralischer Pflichten wieder. Darin finden wir ein unüberhörbares Echo. Mit seinem Begriff der Autonomie zerstört Kant gewiss die traditionelle Vorstellung der Gottes-Kindschaft. Aber den banalen Folgen einer entleerenden Deflationierung kommt er durch eine kritische Anverwandlung des religiösen Gehaltes zuvor.

Säkulare Sprachen, die das, was einmal gemeint war, bloß eliminieren, hinterlassen Irritationen. Als sich Sünde in Schuld verwandelte, ging etwas verloren. Denn mit dem Wunsch nach Verzeihung verbindet sich immer noch der unsentimentale Wunsch, das anderen zugefügte Leid ungeschehen zu machen. Erst recht beunruhigt uns die Unumkehrbarkeit vergangenen Leidens - jenes Unrecht an den unschuldig Misshandelten, Entwürdigten und Ermordeten, das über jedes Maß menschenmöglicher Wiedergutmachung hinausgeht. Die verlorene Hoffnung auf Resurrektion hinterlässt eine spürbare Leere. Horkheimers berechtigte Skepsis gegen Benjamins, wie ich denke, überschwängliche Hoffnung auf die wiedergutmachende Kraft humanen Eingedenkens - "Die Erschlagenen sind wirklich erschlagen", sagt Horkheimer - dementiert ja nicht den ohnmächtigen Impuls, am Unabänderlichen doch noch etwas zu ändern. Der Briefwechsel zwischen Benjamin und Horkheimer stammt aus dem Frühjahr 1937. Beides, der wahre Impuls und dessen Ohnmacht, hat sich nach dem Holocaust in der ebenso notwendigen wie heillosen Praxis einer "Aufarbeitung der Vergangenheit" (Adorno) fortgesetzt. Verstellt, das sollte ich vielleicht von hier aus sagen, äußert sich der selbe Impuls auch noch im immer anschwellenden Lamento über das Unangemessene dieser Praxis. Die ungläubigen Söhne und Töchter der Moderne scheinen in solchen Augenblicken zu glauben, einander mehr schuldig zu sein und selbst mehr nötig zu haben, als ihnen von der religiösen Tradition in Übersetzung zugänglich ist - so, als seien deren semantische Potentiale noch nicht ausgeschöpft. Diese Ambivalenz kann auch zu der vernünftigen Einstellung führen, von der Religion Abstand zu halten, ohne sich deren Perspektive zu verschließen. Diese Einstellung kann die Selbstaufklärung einer vom Kulturkampf zerrissenen Bürgergesellschaft in die richtige Richtung lenken. Moralische Empfindungen, die bisher nur in religiöser Sprache einen hinreichend differenzierten Ausdruck besitzen, können allgemeine Resonanz finden, sobald sich für ein fast schon Vergessenes, aber implizit Vermisstes eine rettende Formulierung einstellt. Sehr selten gelingt das, aber manchmal. Eine Säkularisierung, die nicht vernichtet, vollzieht sich im Modus der Übersetzung. Das ist es, was der Westen als die weltweit säkularisierende Macht aus seiner eigenen Geschichte lernen kann. Sonst wird der Westen auch der arabischen Welt nur als Kreuzritter einer konkurrierenden Glaubensmacht oder als Handelsreisender einer instrumentellen Vernunft, die jeden Sinn unter sich begräbt, erscheinen. Lassen Sie mich die nicht vernichtende Säkularisierung zum Schluss an einem Beispiel erläutern.

In der Kontroverse über den Umgang mit menschlichen Embryonen berufen sich immer noch viele Stimmen auf Moses 1,27: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Dass der Gott, der die Liebe ist, in Adam und Eva freie Wesen schafft, die ihm gleichen, muss man nicht glauben, um zu verstehen, was mit Ebenbildlichkeit gemeint ist. Liebe kann es ohne Erkenntnis in einem anderen, Freiheit ohne gegenseitige Anerkennung nicht geben. Deshalb muss das Gegenüber in Menschengestalt seinerseits frei sein, um die Zuwendung Gottes erwidern zu könne. Trotz seiner Ebenbildlichkeit, und darauf kommt es mir an, wird freilich auch dieser Andere noch als Geschöpf Gottes vorgestellt. Diese Geschöpflichkeit des Ebenbildes drückte eine Intuition aus, die in unserem Zusammenhang auch dem religiös Unmusikalischen, zu denen ich mich rechne, etwas sagen kann. Gott bleibt nur solange ein "Gott freier Menschen", wie wir die absolute Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht einebnen. Nur solange bedeutet nämlich die göttliche Formgebung keine Determinierung, die der Selbstbestimmung des Menschen in den Arm fällt.

Dieser Schöpfer braucht, weil er Schöpfer- und Erlösergott in einem ist, nicht wie ein Techniker nach Naturgesetzen zu operieren, oder wie ein Informatiker nach Regeln eines Codes. Die ins Leben rufende Stimme Gottes kommuniziert von vornherein innerhalb eines moralisch empfindlichen Universums. Deshalb kann Gott den Menschen in dem Sinne "bestimmen", dass er ihn zur Freiheit gleichzeitig befähigt und verpflichtet. Nun - man muss nicht an die theologischen Prämissen glauben, um die Konsequenz zu verstehen. Es käme eine ganz andere, als kausal vorgestellte Abhängigkeit ins Spiel, wenn die im Schöpfungsbegriff angenommene Differenz verschwände und ein Peer an die Stelle Gottes träte - wenn also ein Mensch nach eigenen Präferenzen in die Zufallskombination von elterlichen Chromosomensätzen eingreifen würde, ohne dafür einen Konsens mit dem betroffenen Anderen wenigstens kontra-faktisch unterstellen zu dürfen. Diese Lesart legt die Frage nahe, die mich an anderer Stelle beschäftigt hat. Müsste nicht der erste Mensch, der einen anderen Menschen nach eigenem Belieben in seinem natürlichen Sosein festlegt, auch jene gleichen Freiheiten zerstören, die unter Ebenbürtigen bestehen, um deren Verschiedenheit zu garantieren?

Afghanische Frau

siehe auch den Text von Habermas zum Irak-Krieg (Auszüge)
7.Dez.2001: Nach der Niederwerfung der Taliban, eine afghanische Frau in der Burka besichtigt die Reste ihres Dorfes.
Ende der Qualen in Afghanistan?

 

Lichtdom

Die Twin Towers als Lichtdom - New York Sechs Monate danach:
August 30, 2003

Officers' Sept. 11 Accounts:
Catastrophe in the Details

By KEVIN FLYNN and JIM DWYER

The first thing that hit my senses was the quietness of it all," remembered Inspector Timothy I. Norris of the Port Authority Police Department. Seconds after the south tower of the World Trade Center collapsed on Sept. 11, 2001, he was in the basement, near the usually bustling PATH Square. "It was surreal. Then as we panned our flashlights about, we observed the devastation that had taken place. "There was also a large fire in the area from what seemed like a broken gas line. I was just about to turn around and leave the area when my flashlight illuminated a bloody arm waving from underneath a debris pile." Inspector Norris and others lifted a man out. "The man was semiconscious and heavy, and it seemed like an eternity before we emerged in the light and fresh air of Vesey Street." That is one recollection among scores documented by the Port Authority of New York and New Jersey from its police officers in the months after the disaster in Lower Manhattan that claimed more than 2,700 lives, 84 of them Port Authority employees, with 37 of those Port Authority officers. The records were released Thursday along with transcripts of radio transmissions from the twin towers, after The New York Times had sued to make them public.

The accounts, some written out longhand, others cut short by the writer's inability to go on, Ground Zero ein Jahr danachinclude exchanges with officers who would never make it out of the towers and a description from inside the Brooklyn Battery Tunnel as the dust cloud filled the underground tube and overwhelmed rescuers. One account shows that as officers fired their guns to break through windows for escape, the shots were mistaken for part of the terrorist attack, and another officer was hit by a ricochet. Some officers, in their immediate need to respond, cut loose suspects in their custody. Another recounted a rare moment of exuberance as a Port Authority officer, thought to be among the dead or missing, was carried through a door to a command center. The records are filled with personal observations, both of the terrible carnage and of minute details that somehow lodged in the memory. Some recalled the tattered stockings on the people fleeing without their shoes; others remembered officers stripping off their gun belts to put on rescue gear. One officer remembered a squabble in a stairway with a firefighter.

There are also tales of searches in the darkness, of following the sounds of voices and the contours of walls and of holding hands with unseen comrades. "I entered the command bus and saw the driver's window was open and the cloud was entering the bus," wrote Sgt. William J. Zika, who was inside the bus after the first collapse. "While at the driver's window, trying to close it, I heard screams for help. Voices screaming, `Help, I can't breathe.' I yelled out to them to come to my voice. After a few moments I saw hands reaching into the window. I pulled an unknown number of people who were covered with debris into the bus through the window." The accounts also offer interesting, though often incomplete, additions to the knowledge of the emergency response. In one report, an officer recalls how the captain of the Port Authority police precinct at the trade center ordered an evacuation of the entire complex — even before the second plane had struck — a message that was not carried out throughout the ranks. A Port Authority spokesman, Harry Spector, said yesterday that the accounts were voluntarily submitted by officers at the request of their superiors. "They were collected as part of the historical record," he said.

NYC Warrenstreet 9-11

SGT. FRANK GIARAMITA
Inside the Brooklyn Battery Tunnel: "For a moment I thought it was water. The vehicles in front of us were turning around and driving against traffic to escape the tunnel. A number of them crashing into the tunnel walls to accomplish this. Our bus was too large to turn around, so we began to go in reverse to get out of the tunnel. At this point I thought that the tunnel itself was damaged or had been the target of an additional terrorist act."

POLICE OFFICER DANIEL M. McCARTHY
Shortly before the collapse of the first tower: "Captain Whitaker arrived at the command post and advised all members of the department who were present not to enter the building. Captain Whitaker further stated `that building is not stable, I don't want any more of our guys going in there.' A short time later the building collapsed . . . I strongly believe Captain Whitaker was instrumental in saving the lives of approximately 40 more police officers."

SGT. M. DUANE
Near the PATH train station: "I thought a bomb had exploded due to the thunderous noise and ferocious winds that were generated. When the noise and wind stopped there was complete darkness and silence. I realized I had been knocked onto the floor and could only see what appeared to be smoke. Seconds later, I saw light from a flashlight and told the person with the light to stay where they were. I identified myself and told the person with the flashlight I knew where the exit was located. A woman handed me the flashlight. In the immediate area was a group of six, seven individuals. I instructed everyone to hold each other's hand and we would exit the building."

SGT. WILLIAM B. ROSS
Outside Tower 2: "We now were aware that the second plane had struck the south tower and we could see the smoke and fire from that crash. The upper portion of the south tower appeared to have a slight tilt to my left. As I was speaking with Lieutenant Murphy, Sgt. Anthony Parlato came up and we started to discuss the possibility that the towers could come down. Also, we were informed that possibly two other aircraft had been hijacked and were unaccounted for. It was reported that one of the planes might be headed toward the trade center. When informed of these reports, Lieutenant Murphy made a decision that saved my life and those of all the officers that were assigned to us. He stated that we would not enter the building until we were sure that the other planes were accounted for."

POLICE OFFICER MICHAEL SCHULE
Responding from Kennedy International Airport: "As we left Port Authority Police Building No. 269 we heard the tower report one rogue plane in the air, unknown location. J.F.K. control tower was immediately evacuated."

POLICE OFFICER ANTHONY L. CROCE
On the mezzanine of Tower 1: "People were coming out in droves. I could see the panic in their eyes as they looked at me. I felt so bad for them. Some were injured really bad and barely able to walk. The heat and the long descent had taken a toll on them. All I could do at the time was to offer some encouragement and try and give them a boost to continue . . . At some point I was looking out into the plaza and the concert stage was on fire. It was burning pretty good and was right next to the building. Thinking this was a priority I leaned over the mezzanine railing and saw Police Officer Houston in the lobby below. I yelled to him and got his attention. I explained the situation to him and he was going to get the Fire Department up there. He had been in plain clothes that day. I liked Police Officer Houston. I didn't know him very long but we got along very well when I worked with him. He was one of the officers that trained me there and I will miss him a great deal."

POLICE OFFICER SUE KEANE
Inside 1 World Trade Center when the first tower collapsed: "I was separated from the guys from the George Washington Bridge by another explosion, massive again, sucking the air out of your lungs and then just a wind more intense this time with larger pieces of debris flying. When things cleared there were still civilians in the area and myself, an N.Y.P.D. cop and two firemen. Since I only knew how to get back to Tower 5, that is how we got the rest of the group out across the plaza, by looking up and only letting them go two or three at a time. This is starting to get hard to write. I'll try again in a few days."

POLICE OFFICER JULIAN C. HAMPDEN
While on the B.Q.E. Expressway: "We overheard a radio transmission from the Holland Tunnel advising the Central Police Desk that the trade center was on fire. I observed Tower No. 1 had a visible hole and was on fire with smoke pouring out. I called La Guardia via cellphone at 8:48 a.m. and made notification to Police Officer Baicich. While still on the B.Q.E., I observed a second aircraft approach Tower No. 2 and hit the building on the south wall, causing an explosion. I called La Guardia Police Desk again." He then drove to the trade center, where officers were putting on portable air packs, called Scott packs. "Officers were donning Scott packs and placing their gun belts in the trunks of P.A. vehicles, while others were looking for helmets and Scott packs . . . A search team of five P.A. officers entered the building. I remember Donnie McIntyre was on the team. Not aware of the time that passed. I saw only three of the team exit the tower."

POLICE OFFICER JAMES LUDLOW
Responding from Newark International Airport: "I saw countless women and a few men walking north on Greenwich without shoes on their feet; the women's socks and stockings torn and blowing in the breeze."

DETECTIVE WILFRED BARRIERE
On the lower mezzanine level of 1 World Trade Center after the other tower collapsed: "Moments later, I heard the rapping sound of metal on glass. At first, I thought, could it be possible that rescue personnel were trying to get into the area where I was standing. The tapping sound stopped, then a loud explosion occurred. I immediately felt a burning sensation to my left thigh. I yelled out to whoever had shot their gun to decease shooting because they had struck me with the ricochet of their fired weapon."

POLICE OFFICER D. VASQUEZ
In the vicinity of the trade center: "All of a sudden we saw the top of the W.T.C. cave in and start to collapse. I heard five to six bangs, gunshots. I knew they were gunshots and they were coming from the direction of the West Side Highway. Half the crowd was running east and the other half was running west away from the gunfire. I was pinned against a fence and people were getting stepped on. I pushed through the people. I didn't see any fellow officers. People looked at me with panic faces, saying, `Which way should we go?' I thought we were under attack on land now. I thought I was going to die. I didn't know what was happening at the W.T.C. site, but I couldn't direct the people in that direction. Gunshots or a collapsing building. What a choice. I figured, well, they can't shoot all of us. So I directed, more like screamed, for everyone to head to the West Side highway."

DETECTIVE PHIL PASSARO
On his day off, helping with security at J.F.K. Airport: "After the second aircraft hit the World Trade Center the F.A.A. shut down the New York air space, and all aircraft that were about to take off or on the taxiways were returned to their gates. There were numerous suspicious passengers removed from the aircrafts and returned to Port Authority Police Building No. 269 for investigation. The undersigned assisted in the investigations along with the F.B.I. Joint Terrorist Task Force for the remained of my tour, which ended at 2300 hours."

CAPT. JOHN V. KASSIMATIS
Struggling out of the debris after the first tower collapsed: "I encountered an unconscious female approximately 35 years old on the ground and bleeding. I wasn't able to pick her up but I was able to drag her up West Street. When I got to the area under the foot bridge at Vesey Street, I heard that roar again. Next to us was an N.Y.P.D. Suburban, running. I placed the woman in the back seat with the assistance of unknowns and then jumped into the driver's seat. The vehicle filled up quickly with people piling in and on to each other. I placed the vehicle in gear and made it to the front of the Verizon building when the debris shock wave caught us and buried the vehicle. We sat in the vehicle and we could hear the debris piling up, most of it behind us. After a period of time, it became quiet and the vehicle was still running. I put it in four-wheel drive low and started to rock into the debris in front of us and then place it in reverse and do the same. I don't remember how many times I did that but then the front of the vehicle broke through the debris and we saw daylight."

POLICE OFFICER ANTHONY F. GATTULLO
At a gym at Manhattan Community College, after the collapses: "Eventually, the supplies we needed started to show up at the bottom of the stairs, and organized long human chains for the purpose of expediting the materials into the gym. We were told to do this all day long it seemed. I became frustrated. The hard reality that very few of our guys made it out to safety hit home later on as the missing men's names were passed around the gym. I lost friends and classmates. It made me very sad to just sit around and not do anything but wait. I wanted to leave the area but calmer voices prevailed and once again we unloaded trucks and formed the human chains to get the boxes into the gym. Is despair and lethargy one of the symptoms of trauma, as we all showed some of this that afternoon."

Suche nach Vermissten

DETECTIVE EDWARD RAPP
Responding from J.F.K. Airport: "This is not a complete and detailed report concerning my experience on Sept. 11, 2001. This is just what I remember these days. I tried to be as accurate as possible. There are probably a lot of facts and incidents that I did not recall when writing this report. Maybe tomorrow I will remember them, or maybe I won't."

NYT

Foreigners' Rights in the Post-9/11 Era:
A Matter of Justice

By DAPHNE EVIATAR
October 4, 2003

More than 5,000 citizens of foreign countries have been detained by the government since 9/11 in connection with anti-terrorism measures. Only a handful have been charged with a terror-related crime. Many were held initially without charges, denied access to lawyers, judged in secret and locked up for months without any showing that they had committed crimes or otherwise posed any danger. More than 500 were deported for immigration violations.
The Bush administration's anti-terrorism campaign has set off a fierce legal and philosophical debate over what rights foreigners have compared with Americans. When is it permissible to treat noncitizens differently? Are there some rights — whether to a speedy trial or a formal charge — that transcend nationality, and should be accorded to every human being? Treating foreigners differently, of course, is nothing new for the United States government. Debates over everything from federal benefits and public school education to identification cards have bubbled up at various times. But since Sept. 11, 2001, the consequences for some foreigners have become much more severe.
Prof. John Yoo of the law school at the University of California at Berkeley points out that while the Bill of Rights applies to "persons" rather than citizens, it's not unconstitutional to treat aliens differently in certain contexts. The Supreme Court has said in many decisions: "In the exercise of its broad power over naturalization and immigration, Congress regularly makes rules that would be unacceptable if applied to citizens." The Fifth Amendment may guarantee everyone a right to due process, but it does not say what process is due. So while a criminal defendant, for example, has a right to a lawyer and a public trial before a jury, immigration cases are decided by administrative judges, may be held behind closed doors and can occur without legal counsel.
The gap is even wider for the more than 650 foreign citizens at the United States military base in Guantánamo Bay, Cuba. Suspected of having ties to terrorists, most were picked up during the Afghanistan war, none has had a hearing, and most will never get a day in a regular court. Although the administration has said it will soon start military tribunals, the American Bar Association, among others, has declared the proposed procedures unfair, objecting to restrictions on defense lawyers' access to evidence, government monitoring of attorney-client communications, and limitations on appeals.
In a letter published in The New York Times last month, Paul W. Cobb Jr., deputy general counsel at the Department of Defense, wrote that the Guantánamo prisoners have been designated "enemy combatants in the global war on terrorism," and they can be "lawfully detained until the cessation of hostilities." They are not considered prisoners of war, because this isn't considered a regular war. Therefore, they are not protected by the Third Geneva Convention, which mandates humane treatment and an impartial trial. Such distinctions between citizens and foreigners are justified, says Viet D. Dinh, a law professor at Georgetown University and a former assistant attorney general at the Justice Department, where he was a principal author of the USA Patriot Act. Quoting the philosopher Edmund Burke, Mr. Dinh argues that order is a precondition to liberty, and that the war on terrorism is a means of defending liberty. "This war is fundamentally about an effort to restore international civil order toward people who would disrupt that order," he told an audience on Tuesday at the university during a debate with his Georgetown colleague David Cole. "When you adopt a way of terror, you've excused yourself from the community of human beings."
Some legal philosophers and critics hotly dispute this reading, however. "The rights of political freedom, due process and equal protection are among the minimal rights that the world has come to demand of any society," Mr. Cole writes in his new book, "Enemy Aliens: Double Standards and Constitutional Freedoms in the War on Terrorism" (New Press). He argues these are "fundamental rights" that are "owed to persons as a matter of human dignity;" they are, he continues, quoting the Supreme Court, "implicit in the concept of ordered liberty."
Whether everyone is born with certain "unalienable rights" or whether rights are bestowed by a particular government in a particular place and time is, in some ways, at the heart of the current debate. It has also been at the center of American constitutional history. The founders believed that individuals possess "natural rights" granted by God. Still, the United States has repeatedly denied certain rights to foreigners. Beginning with the Alien and Sedition Acts of 1798, Congress declared immigrants from "enemy" nations ineligible for naturalization, and authorized deportation of those "dangerous to the peace and safety of the United States." The Enemy Alien Act of 1798 authorized the president to detain, deport or otherwise restrict the liberties of citizens of countries with which the United States is at war. And since the early 1900's, Congress has enacted a range of laws restricting the speech and political association of foreigners.
Some scholars like Mr. Cole reject the idea that certain rights are merely privileges that a government can grant to some and deny to others. Indeed, the international human rights movement and the treaties that have grown out of it over the last 50 years depend on a conception that all human beings share certain rights regardless of nationality or citizenship. Ronald Dworkin, a professor of philosophy and law at Oxford and New York University, argues that the view that rights are solely the result of a particular government action is too narrow. "It says that these traditional guarantees are just somehow contracts, and there are not principles behind them," he said in an interview. To Mr. Dworkin, the rights of outsiders cannot be jettisoned based on some speculative benefit for the larger community. "The government is saying that any gain to our own safety, even if it's marginal, is a good justification for doing anything to foreigners," he said. "If that's not a violation of shared humanity, then what could be?" As he writes in a forthcoming article on the topic for the 40th anniversary issue of The New York Review of Books, "Among the most fundamental of all moral principles is the principle of shared humanity: that every human life has a distinct and equal inherent value."
Just what that means in practice, though, is unclear. Hannah Arendt noted in "The Origins of Totalitarianism" in 1951 — a time when the establishment of universal rights had taken on a new urgency — that "no one seems able to define with any assurance what these general human rights, as distinguished from the rights of citizens, really are." And even Mr. Dworkin accepts some distinctions between citizens and aliens — the right to vote, for example. Michael Walzer, a political philosopher at the Institute for Advanced Study at Princeton and co-editor of the left-leaning Dissent magazine, defends a community's right to choose its members and treat outsiders differently. In his 1983 classic in the field, "Spheres of Justice," he wrote: "Admission and exclusion are at the core of communal independence. They suggest the deepest meaning of self-determination." In a recent interview, Mr. Walzer added that to combat terrorism, the government may well be justified in treating certain foreigners differently — for example, by increasing surveillance or by police profiling in certain circumstances. "When they were stopping vans going into New York right after 9/11, it made sense to look for young Arab men of a certain age," he said. "A van driven by two 70-year-olds — you wouldn't want to insist on a policy that requires the police to stop them, too." He added, however, that this doesn't mean the government can do anything it pleases. "You have to distinguish between inconveniences and violations of rights like being denied lawyers, being held incommunicado or being held without any specified point of release," he said. "What we're doing at Guantánamo seems to me to be both immoral and crazy." Even if it is lawful to hold prisoners until the "the cessation of hostilities," since it is unclear when or if the "war on terrorism" will ever be over, some could conceivably be held indefinitely. Universal rights may be hard to define, Mr. Walzer said, but "the right not to be locked up and have the key thrown away has got to be one of those."


Das Paradies sei eine Jungfrau,
reich geschmückt und schön

Die „geistliche Anleitung“ für die Attentäter des 11. September wurde neu übersetzt und analysiert – ist sie die Gründungsurkunde einer Terrorreligion?

An der Tür zum Hörsaal 112 des Erfurter Max-Weber-Kollegs steht geschrieben: „Institut für Kunst“. Drinnen, im hoffnungslos überfüllten Auditorium, wohnten Studenten und Wissenschaftler einer Rezitation bei, deren künstlerischer Charakter befremdete. Ein junger Mann trug mit akzentfreier Tenorstimme vor, was die Attentäter des 11. September höchstwahrscheinlich gelesen haben, bevor sie das World Trade Center in Asche verwandelten: die „geistliche Anleitung“ für das Verhalten in der „letzten Nacht“ und am Tag des Anschlags. In Hörsaal 112 wuchs schnell die Beklemmung. Mit jedem Lobpreis des Weltgerichts, in dessen Namen die „Ungläubigen“ wie „Schlachtopfer“ zu töten seien, sehnte sich das Publikum mehr nach einem Versprecher, einer verrutschten Silbe, einem Hüsteln. Unweigerlich wurde die makellose Rezitation zur obszönen Hassrede über das Morden. Als die lastende Spannung unerträglich war, brach ein Geräusch den Bann. Laut glucksend sprudelte irgendwo Mineralwasser. Eine Atempause, endlich.
Die vier handgeschriebenen arabischen Seiten, deren erste wissenschaftlich fundierte Übersetzung jetzt in Erfurt vorgestellt wurde, entwickeln im mündlichen Vortrag einen gewaltigen Sog. Die formelhafte Sprache, eine Litanei aus Suren und Gebeten, gemischt mit Vorsichtsregeln und teils spirituellen, teils praktischen Handlungsanweisungen, ist eindeutig auf Wirkung berechnet. Hörbar wurde, was Bruce Lincoln von der Universität Chicago den „tiefreligiösen Gehalt“ eines „schrecklich bewegenden“ Textes nannte. Hier hat sich ein Mensch, der mit der Welt abgeschlossen hat, in Ekstase geschrieben. Oder handelt es sich doch nur, wie der Jenaer Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker meinte, um einen „religiös imprägnierten“ Aufruf zum Massenmord? Oder eher um die Gründungsurkunde einer „Terrorreligion“, als die Moez Khalfaoui (Erfurt) die „Anleitung“ deutete?
Drei Exemplare des Dokuments wurden gefunden: im Auto eines Tatbeteiligten, in den Trümmern der bei Pennsylvania abgestürzten Maschine, Flug UA 93, in Muhammad Attas Koffer, der auf dem Flughafen von Boston falsch verladen worden war. Das FBI hatte die vier Seiten am 28. September 2001 frei gegeben. Die Washington Post veröffentlichte Auszüge einer angeblichen fünften Seite, die aber im Original nicht vorliegt. Die Forscher am Max-Weber-Kolleg sind sich darin einig, dass die vierseitige „geistliche Anleitung“ authentisch ist. Bruce Lincoln traut es dem FBI nicht zu, eine bis in die Wortwahl und die schlingernde Denkbewegung hinein derart kongeniale Fälschung zu produzieren. Den Kern der „Anleitung“ bildet, so Lincoln, ein „ewiger Antagonismus“ zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Letztere seien laut dem anonymen Autor alle „schäbigen, wertlosen“ Menschen, die den Propheten Muhammad ablehnen.
Bei dieser Gegenüberstellung kann sich der Verfasser teilweise auf den Koran stützen. So wird denn auch die achte Sure über die Feinde des Islam zitiert: „Haut ihnen auf den Nacken und schlagt zu auf jeden Finger von ihnen“. Den Boden des Korans verlässt der Autor an jenen vier „auffälligen“ Stellen, die Tilman Seidensticker untersuchte: In der „Anleitung“ wird – erstens – die Furcht vor der technischen Überlegenheit des Gegners breit thematisiert; es heißt, die Anhänger der westlichen Zivilisation hätten die „Liebe zur Zivilisation mit kaltem Wasser getrunken“, weshalb ihnen „ihre Ausrüstung, ihre Türen und ihre Technologie“ nichts nutze, vielmehr ihnen, den Westlern, Angst einjage.
Auch ist – zweitens – der Vergleich der abertausend Opfer mit Schlachttieren im islamischen Schrifttum, das Menschenopfer ablehnt, nirgends belegt. Gleiches gilt – drittens – von der angeblichen Pflicht, die „Ungläubigen“ nach ihrer Ermordung zu plündern. Schließlich fingiert der Autor eine sprachmystische Tradition, der zufolge punktierte Buchstaben „weniger wert sind als alle anderen“. Wegen dieses vierfachen Obskurantismus definiert Seidensticker den Autor als einen „theologischen Laien, der seine Fähigkeiten überschätzt“. Muhammad Atta selbst könnte die „Anleitung“ verfasst haben.
Den Kopf des Hamburger Netzwerks hält auch Moez Khalfaoui für den Autor. Der letzte Satz des Dokuments lautet nämlich: „Und Gott segne unseren Propheten Muhammad“. Die namentliche Nennung des Propheten am Schuss dieser Formel sei unüblich. Khalfaoui vermutet, Atta wollte mit dem allerletzten Wort sich selbst zum neuen Propheten Muhammad ausrufen. Zuvor habe Atta das Programm seiner „Terrorreligion“ skizziert – ein neues, ganz auf die Tat ausgerichtetes „Konzept von Wissen und Handeln“ und eine neue Jenseitsvorstellung.
Im dritten Abschnitt der „Anleitung“ beschreibt Atta „die Paradiese“ als Frauen, die sich „für euch mit ihrem schönsten Schmuck geschmückt haben und die nach euch rufen: ,Oh komm herbei, Du Freund Gottes‘.“ Die Paradiesjungfrauen aber sind in der 55. Sure keusche Mädchen mit züchtigem Blick. Atta macht aus ihnen aktive Frauen, die die Männer selbstbewusst provozieren, und diese wiederum sind in Attas Augen heldenhafte, todesmutige Jünglinge, wie sie sonst nur die vorislamische Kultur kenne. Ihnen will Atta das Paradies – eben kein Ort mehr, sondern eine „unverschämte“ Frau – vorbehalten.
Wie ernst sind solche Privatmythologien zu nehmen? Genügt die Bemerkung des Religionshistorikers Hans G. Kippenberg, die Tat sei „aus dem Text heraus verständlich zu machen“, das „Massaker junger Männer“ sei die reale Folge einer zuvor als real definierten Situation? Zumindest konnten die Attentäter an eine ganz reale Tradition anknüpfen, die den meisten Muslimen geläufig ist – die Tradition der frühislamischen politischen Rede, deren Funktionen der Erfurter Islamwissenschaftler Albrecht Fuess darlegte. Fuess war es gewesen, der mit seiner Stimme den Hörsaal 112 unfreiwillig in eine konspirative Wohnung verwandelt hatte. Sein Vortrag machte deutlich, dass das gesprochene Wort, nach dem die „Anleitung“ verlangt, Kern ihrer Wirkungsabsicht ist. Die frühislamische politische Rede ist, anders als die Freitagspredigt, durchsetzt von Schlachtrufen in Gebetsform, und sie ist das Instrument einer politischen Elite. Wegen dieser Anschlussfähigkeit an islamische Traditionen nennt Fuess den Text ein unverändert „gefährliches Dokument“.
Dass dieses Dokument samt den Vorträgen bald in Buchform erscheinen soll, ist rundum lobenswert. Eine breite wissenschaftliche Debatte könnte dazu beitragen, religiösen Fundamentalismus und terroristische Gewalt klarer zu bestimmen. Auf jeden Fall zeichnet die „Anleitung“ ein hässliches Bild vom Islam: das Bild einer hermetisch abgeschlossenen, kampfbereiten Bruderschaft, die die „Ungläubigen“ ausrotten will. Die Endzeit wollten die Attentäter einläuten, das letzte Gefecht, den „Augenblick der Wahrheit“. Vielleicht begann am 11. September 2001 eine neue Form des Terrors: die eliminatorische Eschatologie.

ALEXANDER KISSLER, Süddeutsche Zeitung, 07.Okt. 2003


Wir fließen immer mehr ineinander

Der Konflikt zwischen Amerika und Europa

Auszüge aus Susan Sontags [† 28.12.2004] Rede
zur Verleihung des Friedenspreises am 12.Okt. 2003

SontagZornige, abschätzige Äußerungen über Europa, über bestimmte europäische Länder, sind in der politischen Rhetorik Amerikas heute gang und gäbe; und hier in Europa, zumindest in den reichen Ländern im westlichen Teil des Kontinents, sind anti-amerikanische Gefühle weiter verbreitet, lauter und ungehemmter vernehmbar als je zuvor. Was hat es mit diesem Konflikt auf sich? Hat er tiefere Wurzeln? Ich glaube, ja.
Schon immer bestand ein latenter Antagonismus zwischen Europa und Amerika, der mindestens so komplex und ambivalent war wie der zwischen Eltern und Kind. Die Vereinigten Staaten sind ein neo-europäisches Land, und bis vor wenigen Jahrzehnten war der größte Teil seiner Bevölkerung europäischer Herkunft. Trotzdem waren es immer die Unterschiede zwischen Europa und Amerika, die den besonders scharfsichtigen ausländischen Beobachtern auffielen: dem Franzosen Alexis de Tocqueville, der die junge Nation 1831 besuchte und dann in seine Heimat zurückkehrte, um „Über die Demokratie in Amerika“ zu schreiben, auch nach hundertsiebzig Jahren immer noch das beste Buch über mein Land, das es gibt, ebenso wie D. H. Lawrence, der vor achtzig Jahren das interessanteste Buch über die amerikanische Kultur veröffentlichte, das je erschienen ist, seine so einflussreichen wie irritierenden „Studien zur klassischen amerikanischen Literatur“. Beide erkannten, dass Amerika, das Kind Europas, auf dem Weg war, sich zur Antithese Europas zu entwickeln oder schon dazu geworden war.

Rom und Athen, Mars und Venus. Jene Autoren, die in letzter Zeit in populären Traktaten die Vorstellung von einem unvermeidlichen Zusammenprall europäischer und amerikanischer Interessen und Werte entwickeln, haben diese Antithesen nicht erfunden. Europäer haben über ihnen gegrübelt – und sie liefern die Palette, das Leitmotiv für einen großen Teil der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts von James Fenimore Cooper und Ralph Waldo Emerson bis zu Walt Whitman, Henry James, William Dean Howells und Mark Twain. Amerikanische Unschuld und europäisches Raffinement; amerikanischer Pragmatismus und europäischer Intellektualismus; amerikanische Tatkraft und europäischer Weltschmerz; amerikanische Unverdorbenheit und europäischer Zynismus; amerikanische Gutmütigkeit und europäische Boshaftigkeit; amerikanischer Moralismus und europäisches Kompromisslertum. Sie alle kennen die Melodien.
Man kann zu ihnen unterschiedliche Choreographien entwerfen, und zwei wild bewegte Jahrhunderte lang sind sie in allen erdenklichen Akzentuierungen und Figuren abgetanzt worden. Europafreunde können sich dieser ehrwürdigen Antithesen bedienen, um Amerika mit geschäftstüchtiger Barbarei und Europa mit erhabener Kultur gleichsetzen, während die Europafeinde gern auf das Klischee zurückgreifen, Amerika stehe für Idealismus, Offenheit und Demokratie, Europa dagegen für kraftlose, hochnäsige Überfeinerung. Tocqueville und Lawrence haben jedoch etwas viel Brisanteres beobachtet: nicht bloß eine Unabhängigkeitserklärung gegenüber Europa und seinen Werten, sondern eine Tendenz, die europäischen Werte und die Macht Europas zu untergraben und abzutöten. „Man bekommt nie etwas Neues, ohne etwas Altes kaputt zu machen“, schrieb Lawrence. „Nun war aber Europa das Alte. Amerika sollte das Neue sein. Das Neue ist der Tod des Alten.“ Amerika, so prophezeite Lawrence, habe es sich zur Aufgabe gemacht, Europa zu zerstören, und zwar mittels der Demokratie – vor allem mittels der kulturellen Demokratie, der Demokratie der Umgangsformen. Und wenn es diese Aufgabe erfüllt habe, schrieb Lawrence, werde sich Amerika möglicherweise von der Demokratie ab- und etwas anderem zuwenden. (Was dieses andere sein könnte, wird vielleicht in unseren Tagen langsam deutlich.)
Die Vergangenheit ist (oder war) Europa, und Amerika wurde auf der Idee eines Bruchs mit dieser Vergangenheit gegründet, die als hinderliche, verdummende Last und – in ihren Formen von Ehrerbietung und ihrem Sinn für Rangordnung, in ihren Kriterien für das, was überlegen und am besten sei – als durch und durch undemokratisch erscheint, als „elitär“, wie man heute meist sagt. Diejenigen, die einem triumphalen Amerika das Wort reden, deuten dabei immer wieder an, dass amerikanische Demokratie auch bedeutet, Europa abzulehnen und sich eine Art befreiendes, heilsames Barbarentum zueigen zu machen. Auch wenn Europa von den meisten Amerikanern heute eher für sozialistisch als für elitär gehalten wird, bleibt es nach amerikanischen Maßstäben doch ein rückschrittlicher Kontinent, der sich hartnäckig an alte Maßstäbe klammert: an den Wohlfahrtsstaat. „Make it new“ ist nicht nur ein Motto für die Kultur; es steht auch für einen immer weiter um sich greifenden, weltumspannenden Wirtschaftsapparat. Wenn nötig, lässt sich jedoch das „Alte“ auch umtaufen und als „Neues“ deklarieren.
Es ist kein Zufall, dass der energische amerikanische Verteidigungsminister einen Keil zwischen die Länder Europas zu treiben versuchte, indem er auf unvergessliche Art zwischen dem „alten“ (schlechten) und dem „neuen“ (guten) Europa unterschied. Wie konnte es geschehen, dass Deutschland, Frankreich und Belgien dem „alten“ Europa zugerechnet wurden, während sich Spanien, Italien, Polen, die Ukraine, die Niederlange, Ungarn, Tschechien und Bulgarien im „neuen“ Europa wieder fanden? Die Antwort lautet: Wer die Vereinigten Staaten bei ihren gegenwärtigen Bemühungen um eine Ausdehnung ihrer politischen und militärischen Macht unterstützt, gehört damit per se in die bevorzugte Kategorie des „Neuen“. Wer mit uns ist, ist „neu“.

Der derzeitige Krieg gegen die sehr reale Bedrohung, die vom militanten islamischen Fundamentalismus ausgeht, ist dafür ein besonders deutliches Beispiel. Bemerkenswert ist allerdings, dass die gleichen Formen von Geringschätzung in abgemilderter Form auch dem Antagonismus zwischen Europa und Amerika zugrunde liegen. Man sollte sich in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass, historisch betrachtet, die bösartigste anti-amerikanische Rhetorik, die in Europa je zu hören war und die im wesentlichen auf den Vorwurf hinauslief, Amerikaner seien Barbaren, nicht etwa von der so genannten Linken, sondern von der extremen Rechten ausging. Sowohl Hitler als auch Franco ließen sich mehrfach über ein Amerika (und ein Weltjudentum) aus, das mit seinen niedrigen, auf nichts als Geschäftemacherei gerichteten Wertvorstellungen die europäische Kultur verderben wolle.
Natürlich bewundert ein großer Teil der öffentlichen Meinung in Europa auch weiterhin die amerikanische Tatkraft und die amerikanische Vorstellung von „Modernität“. Und natürlich hat es in Amerika immer Anhänger und Anhängerinnen der kulturellen Ideale Europas gegeben (eine solche steht hier vor ihnen), die die alten Künste Europas als eine Befreiung und als Korrektiv gegenüber dem betriebsamen Unternehmergeist der amerikanischen Kultur empfanden. Und auf europäischer Seite gab es immer das Pendant zu solchen Amerikanern: Europäer, die sich von den Vereinigten Staaten gerade wegen ihrer Verschiedenheit von Europa fasziniert, verzaubert und zutiefst angezogen fühlen.
Waren Amerika und Europa denn nie Partner, nie Freunde? Doch, das waren sie. Aber vielleicht waren die Perioden der Einigkeit – der Einmütigkeit – eher eine Ausnahme als die Regel. Eine solche Ausnahmephase war die Zeit vom Zweiten Weltkrieg bis zu den Anfängen des Kalten Krieges, als die Europäer Amerika für seine Einmischung, für seinen Beistand und seine materielle Hilfe zutiefst dankbar waren. Die Amerikaner sehen sich gerne in der Rolle des Retters von Europa. Deshalb erwartet Amerika von den Europäern eine immerwährende Dankbarkeit, nach der den Europäern im Augenblick jedoch nicht der Sinn steht. Aus der Sicht des „Alten“ Europa ist Amerika dabei, die Bewunderung – und die Dankbarkeit – zu verspielen, die die meisten Europäer einmal empfunden haben. Die gewaltige Woge der Sympathie für die Vereinigten Staaten nach dem Angriff vom 11. September 2001 war echt. (Ich selbst kann ihre Intensität und ihre Aufrichtigkeit in Deutschland bezeugen; ich war zu diesem Zeitpunkt in Berlin). Doch dann folgte eine zunehmende Entfremdung auf beiden Seiten.
Die Bürger der reichsten und mächtigsten Nation in der Geschichte müssen sich klar machen, dass Amerika geliebt und beneidet, aber auch mit Groll betrachtet wird. Manche kultivierte Europäer, die sich anscheinend besonders gern in den Vereinigten Staaten aufhalten oder dort leben, bescheinigen diesem Land auf eine seltsam herablassende Art die befreienden Vorzüge einer Kolonie, in der man die „daheim“ geltenden Beschränkungen und die aus der dortigen Kultiviertheit erwachsenden Bürden abschütteln kann. Ich erinnere mich, wie mir ein deutscher Filmemacher, der zeitweise in San Francisco lebte, eines Tages erklärte, warum er so gern in den Staaten sei: „Weil ihr hier überhaupt keine Kultur habt“.
Für etliche Europäer war Amerika die Rettung (auch für D. H. Lawrence, der 1915, als er sich in Amerika niederzulassen plante, an einen Freund schrieb: „Dort kommt das Leben direkt aus den Wurzeln, rau, aber kraftvoll“). Und umgekehrt: für Generationen von Amerikanern auf der Suche nach „Kultur“ war Europa die Rettung. Ich spreche hier natürlich nur von Minderheiten – privilegierten Minderheiten. So kommt es, dass Amerika sich heute als Verteidiger der Zivilisation und Retter Europas sieht und sich gleichzeitig fragt, warum die Europäer das nicht begreifen; die Europäer wiederum sehen Amerika als einen rücksichtslosen Kriegerstaat, was die Amerikaner ihrerseits veranlasst, Europa als einen Feind Amerikas zu betrachten: Europa täusche seinen Pazifismus nur vor, so hört man in den Vereinigten Staaten inzwischen immer häufiger, um in Wirklichkeit an einer Schwächung der Macht Amerikas mitzuwirken.

Es gehört zum Genius der Vereinigten Staaten, deren tief verwurzelter Konservativismus für Europäer schwer zugänglich ist, dass sie eine Form von konservativem Denken entwickelt haben, die das Neue und nicht das Alte feiert. Das bedeutet auch, dass die Vereinigten Staaten in eben jenen Zügen, in denen sie sehr konservativ erscheinen – etwa in der ungewöhnlichen Macht des Konsensus, in der Passivität und im Konformismus der öffentlichen Meinung (wie Tocqueville schon 1831 bemerkte) und der Medien – auch auf eine Weise radikal und sogar revolutionär sein können, die für Europäer ebenso schwer zugänglich ist.
Die vielleicht wichtigste Quelle des neuen (und des nicht ganz so neuen) amerikanischen Radikalismus ist eben jene, die man früher immer als eine Quelle konservativer Werte angesehen hat: die Religion. Viele Beobachter haben darauf hingewiesen, dass der größte Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und den meisten europäischen Ländern (den nach der aktuellen amerikanischen Nomenklatur „alten“ wie den „neuen“) wahrscheinlich darin besteht, dass die Religion in der Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs der Vereinigten Staaten nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. Es handelt sich hierbei allerdings um eine Religion nach amerikanischem Muster: eher um die Idee von Religion als um Religion selbst.
Das heißt, es kommt nicht darauf an, welcher Religion man angehört, solange man überhaupt eine hat. Die Vorherrschaft einer Religion oder gar eine Theokratie (ob allgemein christlich oder von einer bestimmten christlichen Konfession geprägt) wäre unmöglich. Religion muss in Amerika eine Sache der freien Wahl des Einzelnen bleiben. Diese moderne, vergleichsweise inhaltsleere Vorstellung von Religion, die der Freiheit des Konsumenten strukturell ähnlich ist, bildet die Grundlage für den Konformismus Amerikas, für seine Selbstgerechtigkeit und seinen Moralismus (den die Europäer herablassend häufig als Puritanismus missdeuten).

Die Vorherrschaft Amerikas ist eine Tatsache. Aber Amerika, wie inzwischen auch seine derzeitige Regierung einzusehen beginnt, kann nicht alles allein machen. Die Zukunft unserer Welt – unserer gemeinsamen Welt – ist synkretistisch, unrein. Wir können uns nicht voneinander abkapseln. Wir fließen immer mehr ineinander. Am Ende wird sich alle Verständigung – alle Aussöhnung –, zu der wir gelangen können, daraus ergeben, dass wir gründlicher über den ehrwürdigen Gegensatz zwischen „Altem“ und „Neuem“ nachdenken. Der Gegensatz zwischen „Zivilisation“ und „Barbarei“ beruht im wesentlichen auf mehr oder minder willkürlichen Setzungen; sich in Gedanken auf ihn ein- und dogmatisch über ihn auszulassen, führt in die Irre, auch wenn sich bestimmte Realitäten in ihm spiegeln.
Der Gegensatz zwischen „alt“ und „neu“ dagegen ist echt und unaufhebbar und steht im Zentrum dessen, was wir unter Erfahrung verstehen. „Alt“ und „neu“ sind die ewigen, unumstößlichen Pole aller Wahrnehmung und aller Orientierung in der Welt. Ohne das Alte kommen wir nicht aus, weil sich mit ihm unsere ganze Vergangenheit, unsere Weisheit, unsere Erinnerungen, unsere Traurigkeit, unser Realitätssinn verbinden. Ohne den Glauben an das Neue kommen wir nicht aus, weil sich mit dem Neuen unsere Tatkraft, unsere Fähigkeit zum Optimismus, unser blindes biologisches Sehnen, unsere Fähigkeit zu vergessen verbinden – diese heilsame Fähigkeit, ohne die Versöhnung nicht möglich ist. 
Wie manche Amerikaner und viele Europäer würde ich viel lieber in einer multilateralen Welt leben – einer Welt, die nicht von einem einzigen Land dominiert wird (auch nicht von meinem eigenen). In einem Jahrhundert, das von Anfang an ein weiteres Jahrhundert der Extreme, der Schrecken zu werden verspricht, könnte ich mich nun für eine ganze Reihe von Haltungen aussprechen, die einer Verbesserung unserer Verhältnisse dienlich sein können – und ganz besonders für das, was Virginia Woolf die „melancholische Tugend der Toleranz“ nennt.


NYT
August 31, 2004

IN THE SHADOW OF NO TOWERS,
by Art Spiegelman, Pantheon Books
Portraying 9/11 as a Katzenjammer Catastrophe

By MICHIKO KAKUTANI

The central image in Art Spiegelman's new book of comics is that of the north tower's glowing skeletal form, incandescent and ghostly in the fleeting seconds before its collapse: a searing image, witnessed by the author himself, that sunny morning of Sept. 11, 2001. It is an image that conjures up the moment when history swerved from its expected course and time seemed to stop, and an image, too, that embodies the haunting aftermath of 9/11, the afterimage that's been burned into our collective imagination.

In the three years since the terrorist attacks, there has been an outpouring of books, plays, poems, paintings, movies and other artworks that have attempted to come to terms with that terrible day. For the most part they have been highly mediocre efforts, ranging from the earnest but trite to the willfully sensationalistic; from the blatantly political to the narcissistically personal. All too often these creative efforts have tried to impose a conventional narrative upon those events, consciously or unconsciously pushing the horror and the chaos of 9/11 into a sanitized form with a beginning, middle and end - an end that implies recovery or transcendence. But while our therapeutic culture may want to subject all experience to simplistic 12-step procedures, closure vis-à-vis 9/11 remains elusive, and the artistic efforts, which enshrine that closure, tend to feel hollow and forced.
It is a testament to Art Spiegelman's uncompromising vision that In the Shadow of No Towers - his account of 9/11 and its aftermath - makes no effort to contain or domesticate the surreal awfulness of that day. But while the volume seems meant as a kind of bookend to his two "Maus" books (which memorialized his father's experiences at Auschwitz and his own efforts to understand his father), it lacks those earlier books' hard-won intimacy, their layered complexity and metaphorical weight. "No Towers" is ultimately a fragmentary, unfinished piece: brilliant at times, but scattershot, incomplete and bizarrely truncated. What it does do is suggest one aesthetic approach for grappling with the enormity of 9/11. Thus far words alone have proven curiously inadequate as a means of testimony. In the immediate days after the attacks, people struggled to articulate what they had witnessed, frequently resorting to comparisons with disaster movies like "Independence Day" and "Towering Inferno" to convey the magnitude of what they had seen.

A year later, at the New York ceremonies marking the anniversary of 9/11, politicians chose to recite famous words from the past, from the Gettysburg Address and the Declaration of Independence, instead of writing new ones of their own. And in the time since, some of the most affecting and resonant of artworks about Sept. 11 have been photographs, taken by professionals and amateurs alike, images that possess a stark and unsparing eloquence, devoid of the sentimentality and contrivance evinced by so many literary efforts. In "No Towers" Mr. Spiegelman - whose black on black drawing of the towers was featured as the cover of The New Yorker magazine six days after the attacks - eschews the pared-down style of "Maus" to embrace a wide spectrum of styles that, taken together, invoke the chaos and cacophony of 9/11.
Some panels evoke the noirish pulp fiction art of the 1930's and 40's, showing terrified crowds fleeing the disaster. Some, depicting Mr. Spiegelman and his wife, start out vaguely realistically and then segue into bravura comic-book iconography. Some show the author in the guise of the mouse persona he assumed in "Maus" (the book portrayed Jews as mice and Nazis as cats), trying to process the ways in which "World History and Personal History" collided for both his father and himself. And some draw upon old-time comics (like the "Katzenjammer Kids" and "Bringing Up Father") and more recent underground comics to try to capture that calamitous day. The pages in this artfully produced book recount what Mr. Spiegelman and his family witnessed that September morning, and they also chronicle the author's bouts of existential terror and despair, his rage at President Bush for going to war against Iraq, his addiction to and frustration with the news media (including The New York Times) and his need to try to channel his feelings into comics. ("After all," he writes, "disaster is my muse.").
These panels, however, abruptly stop with the observation that "while waiting for some other terrorist shoe to drop" some "searched for solace in old newspaper comics."What then follows, jarringly, are some reproductions of classic comics strips, including "Happy Hooligan," "Little Nemo in Slumberland" and "Bringing Up Father." Some of these strips were born decades ago on Newspaper Row (only a few blocks from where the World Trade Center once stood) and now recall a more innocent time. Interesting as these classic strips are, the reader can only wish that Mr. Spiegelman had spent more time and space detailing his own reactions to 9/11 and its fallout. But perhaps it is too soon for that: the "Maus" books, after all, took him 13 years to complete, and far more time had elapsed since his father's experiences in Auschwitz.
History suggests that artists need time and emotional distance to achieve perspective on events as momentous as Sept. 11. Tolstoy's War and Peace was written some 60 years after Napoleon's invasion of Russia; Benjamin Britten's War Requiem, memorializing World War II, was not heard until 1961; and John Corigliano's AIDS Symphony did not have its premiere until 1990, a decade after the composer began losing friends to the illness.

In the meantime "No Towers," however provisional it might be, feels like a harbinger of artistic works to come. Its frantic, collagelike juxtaposition of styles; its repudiation of traditional narrative; its noisy mix of images and words; its trippy combination of reportage, fantasy and paranoia all recall the most innovative works to come out of the Vietnam War, works like Michael Herr's "Dispatches" and Tim O'Brien's "Going After Cacciato," which employed fractured, disjointed narratives and heightened language to capture the moral and combat ambiguities of that war, and which eventually helped to invigorate late 20th-century fiction. Mr. Spiegelman does not make the most of his innovations in this volume, but his book points the way - one way, anyway - for artists to begin getting their minds around the horror of Sept. 11 and to memorialize the unimaginable.

Afghanistan 2001:

Verschleierte Afghanische Frau 2001 

Afghanistan 2021 ab 15.August:

Flucht aus Afghanistan 2021 Die Taliban im Präsidentenpalast 15.Aug.2021
Burka wieder für Frauen