Als Komponist von Operetten war er bereits aufgestiegen in die Halle des Ruhmes. Auch als Opern-Komponist wollte er nun endlich reüssieren. Den Sprung auf die geheiligten Bretter der Opéra comique schaffte Jacques Offenbach mit Hoffmanns Erzählungen. Es war ein dem Tode abgerungenes Werk, ein Künstlerdrama, ein Torso. Unvollendet. Hoffmann – er ist das Exempel eines Kreativen: ein Dichter, Zeichner, Komponist und vor allem großer Liebender.
Zu Offenbachs Zeiten in Frankreich galt der originale
E.T.A Hoffmann
als Prototyp des versoffenen Genies. Rausch und Einbildungskraft
flackern ihm immer wieder in die Quere. In Offenbachs Oper treffen sich
deutsche Schwermut und französischer Witz. Die grotesken, unheimlichen
Elemente aus Hoffmanns Novellen verschmelzen mit den ironie-funkelnden
Einfällen des Komponisten zu einer bizarren Traumwelt.
Wie Träume, oft wie Albträume, wirken die Erfindungen Hoffmanns, mit
denen er seine Probleme mit Frauen verarbeitet.
Natürlich ist es eine
ganz bestimmte Frau, die ihn interessiert: Stella, die Sängerin. Sie
ist ihm Idol und Fluch zugleich.
Sie beschreibt er als Puppe ohne
Gefühl, als karrieresüchtige Egoistin, als raffinierte Hure; die
Zerrbilder seiner Ängste variieren in seiner Fantasie.
Auch sein persönlicher Feind, Lindorf, erscheint mit vielerlei Gesichtern. Lindorf besitzt all das, was Hoffmann fehlt: Geld, Macht und Erfolg. Hoffmann ist der ewige Looser. Er kämpft einen Windmühlen-Kampf als Physikstudent, Musiklehrer, Playboy – bis ihm schließlich die Muse, seine treue Begleiterin, den Weg der Wege weist: sei ein Künstler, Hoffmann!
In ihrer Inszenierung spürt Arila Siegert den Konflikten eines schöpferischen Menschen nach in einer Umwelt, die sich leiten lässt eher von Äußerlichkeiten. Erzählt wird vom schmerzhaften Sich-Reiben Hoffmanns an der Realität – und wie daraus seine Kunst wächst. Seine Integrität, Hoffnung und Energie schöpft Hoffmann aus dem Erzählen und Fantasieren, indes das happy end auf sich warten lässt…
Bettina Bartz
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Zum Beispiel, dass das Leben das reflektiert, was wir in ihm sehen und suchen; dass die subjektive Sicht unser Denken und Handeln bestimmt und unsere Entscheidungen beeinflusst. Das ist ein Privileg von Künstlern, dass sie ihre seelischen, emotionalen und gedanklichen Vorgänge in Kunst übersetzen können. Theater ist ja ein Spiegel unseres Lebens. Und das ist das Thema in „Hoffmanns Erzählungen“. Hoffmann arbeitet sich, indem er Geschichten erfindet, durch sein subjektives Erleben hindurch, das er mit einer Frau hat. Dies Bearbeiten hilft ihm, sich zu lösen von dieser Frau, einen neuen Anfang zu wagen in seinem Leben. Ende ist Anfang.
Baudelaire beschreibt diese inneren Zustände besonders treffend, was menschliche Leidenschaften, Affekte, Süchte – die Abgründe eben – betrifft. Aber er beschreibt auch die andere Seite: das Traumhafte, Schillernde, Schöne. Er beschreibt den Tod, Kain und Abel, die Zerstörung. Baudelaire interessiert das Materielle gar nicht. Ihn interessiert, wie Novalis, die Welt, die außerhalb des Materiellen existiert. Ihn interessieren der Mensch und seine Leidenschaften, die Liebe. Mich auch.
Ganz bestimmt! Ich bin fest davon überzeugt, dass dieselben Kräfte, die Hoffmann zu seinen Geschichten inspiriert haben, heute nach wie vor wirksam sind; dass diese dämonischen Kräfte in uns sind, wie die Lust sie zu bannen, sie zu beschreiben, sie zu übersetzen, sie zu materialisieren. nteressant ist das auch vom Aspekt des Mikro- und Makrokosmos: was in einer Person an Möglichkeiten angelegt ist, in verschiedenen Dimensionen zu denken, auf verschiedenen Ebenen zu existieren, das setzt sich fort im Großen. Die Kriege entstehen ja in uns.
Das hängt zusammen mit der Schlemihl-Geschichte von Chamisso, die in der Oper zitiert wird als Pendant für Hoffmanns Weg. Schlemihl verkauft ja seinen Schatten, aber er merkt, dass er damit nicht leben kann, und rettet sich in die Wissenschaften. Hoffmann verkauft sein Spiegelbild einer Frau, der Giulietta, und rettet sich in die Kunst. Beide Figuren verkaufen ihre Seele letztlich dem Teufel. Es ist das Faust-Motiv. Es signalisiert, dass ein Mensch eine Sache höher stellen können muss als seine Eitelkeit, sonst verliert er sein Selbst. Hoffmann gewinnt in der Oper sich selbst wieder durch den Prozesse des Erzählens. Eine frühe Form der Psychoanalyse.
Erzählt wird es ja nicht. Aber ich habe mir ein Vorspiel auf dem Theater ausgedacht, das als Initialzündung für die Erzählungen von Hoffmann fungiert. Seine angebetete Sängerin Stella zeigt dort drei Gesichter einer Frau: die kokette, puppenhafte Olympia, die romantisch verträumte Sängerin Antonia und die brüskierende, mit ihren weiblichen Reizen provozierende Kurtisane Giulietta. Aus dem Erleben improvisiert er diese drei Frauen-Geschichten. Die Muse, als sein Freund Niklas verkleidet, hilft ihm, das Labyrinth der Gefühle unbeschadet zu durchqueren.
Meiner Meinung nach kann man diese Oper als einen genialen Entwurf bezeichnen. Es gibt eine Fülle von Material. Und das Interessante ist, dass der freie Umgang damit sehr der Art entspricht, wie Offenbach gearbeitet und gelebt hat. Er hat noch kurz vor oder sogar noch während einer Vorstellung geändert. Er war ein großer Improvisator. Das ist das Reizvolle – gerade für heute und für mich. Jeder Regisseur muss seine eigene Fassung finden. Das entspricht mir sehr. Ich finde es toll.