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„Sei ein Künstler: Hoffmann!“

Zu Hoffmanns Erzählungen (Les contes d'Hoffmann) von Jacques Offenbach

Premiere in Chemnitz, 27.März 2004
Musik.Leitung: Fabrice Bollon
Ausstattung: Johannes Conen
Dramaturgie: Bettina Bartz

Plakat zu "Hoffmann"

Als Komponist von Operetten war er bereits aufgestiegen in die Halle des Ruhmes. Auch als Opern-Komponist wollte er nun endlich reüssieren. Den Sprung auf die geheiligten Bretter der Opéra comique schaffte Jacques Offenbach mit Hoffmanns Erzählungen. Es war ein dem Tode abgerungenes Werk, ein Künstlerdrama, ein Torso. Unvollendet. Hoffmann – er ist das Exempel eines Kreativen: ein Dichter, Zeichner, Komponist und vor allem großer Liebender.

E.T.A.Hoffmann Jacques Offenbach

Zu Offenbachs Zeiten in Frankreich galt der originale E.T.A Hoffmann als Prototyp des versoffenen Genies. Rausch und Einbildungskraft flackern ihm immer wieder in die Quere. In Offenbachs Oper treffen sich deutsche Schwermut und französischer Witz. Die grotesken, unheimlichen Elemente aus Hoffmanns Novellen verschmelzen mit den ironie-funkelnden Einfällen des Komponisten zu einer bizarren Traumwelt.
Wie Träume, oft wie Albträume, wirken die Erfindungen Hoffmanns, mit denen er seine Probleme mit Frauen verarbeitet. Natürlich ist es eine ganz bestimmte Frau, die ihn interessiert: Stella, die Sängerin. Sie ist ihm Idol und Fluch zugleich. Sie beschreibt er als Puppe ohne Gefühl, als karrieresüchtige Egoistin, als raffinierte Hure; die Zerrbilder seiner Ängste variieren in seiner Fantasie.

Nichts wie hin - wie Olympia auf dem Treter

Auch sein persönlicher Feind, Lindorf, erscheint mit vielerlei Gesichtern. Lindorf besitzt all das, was Hoffmann fehlt: Geld, Macht und Erfolg. Hoffmann ist der ewige Looser. Er kämpft einen Windmühlen-Kampf als Physikstudent, Musiklehrer, Playboy – bis ihm schließlich die Muse, seine treue Begleiterin, den Weg der Wege weist: sei ein Künstler, Hoffmann!

Hoffmann (Edward Randall) mit Olympia (Jana Buechner) Spalanzani und Coppelius mit der Puppe

In ihrer Inszenierung spürt Arila Siegert den Konflikten eines schöpferischen Menschen nach in einer Umwelt, die sich leiten lässt eher von Äußerlichkeiten. Erzählt wird vom schmerzhaften Sich-Reiben Hoffmanns an der Realität – und wie daraus seine Kunst wächst. Seine Integrität, Hoffnung und Energie schöpft Hoffmann aus dem Erzählen und Fantasieren, indes das happy end auf sich warten lässt…

Bettina Bartz

***

Ende ist Anfang“

Bettina Bartz im Gespräch mit Arila Siegert zu ihrer Sicht auf das Stück

Das Thema Spiegelbild zieht sich durch Hoffmanns erzählerisches Werk, es gibt der berühmten Spiegelarie den Namen und ist ein roter Faden auch für diesen Theaterabend. Was für Assoziationen sollen da geweckt werden?

Zum Beispiel, dass das Leben das reflektiert, was wir in ihm sehen und suchen; dass die subjektive Sicht unser Denken und Handeln bestimmt und unsere Entscheidungen beeinflusst. Das ist ein Privileg von Künstlern, dass sie ihre seelischen, emotionalen und gedanklichen Vorgänge in Kunst übersetzen können. Theater ist ja ein Spiegel unseres Lebens. Und das ist das Thema in „Hoffmanns Erzählungen“. Hoffmann arbeitet sich, indem er Geschichten erfindet, durch sein subjektives Erleben hindurch, das er mit einer Frau hat. Dies Bearbeiten hilft ihm, sich zu lösen von dieser Frau, einen neuen Anfang zu wagen in seinem Leben. Ende ist Anfang.

Hoffmann als Klein-Zack

Ein Gedicht von Charles Baudelaire aus den Blumen des Bösen hat Dich besonders inspiriert. Hängt das mit dem Thema Künstlersein in einer materiell orientierten Welt zusammen?

Baudelaire beschreibt diese inneren Zustände besonders treffend, was menschliche Leidenschaften, Affekte, Süchte – die Abgründe eben – betrifft. Aber er beschreibt auch die andere Seite: das Traumhafte, Schillernde, Schöne. Er beschreibt den Tod, Kain und Abel, die Zerstörung. Baudelaire interessiert das Materielle gar nicht. Ihn interessiert, wie Novalis, die Welt, die außerhalb des Materiellen existiert. Ihn interessieren der Mensch und seine Leidenschaften, die Liebe. Mich auch.

Niklas (Ute Baum) und Giulietta (Valéry Suty)

Kann man die Gespenster, für die Hoffmanns Name steht, und die teuflische Figur des Lindorf in drei weiteren Verkörperungen heute noch ernst nehmen?

Ganz bestimmt! Ich bin fest davon überzeugt, dass dieselben Kräfte, die Hoffmann zu seinen Geschichten inspiriert haben, heute nach wie vor wirksam sind; dass diese dämonischen Kräfte in uns sind, wie die Lust sie zu bannen, sie zu beschreiben, sie zu übersetzen, sie zu materialisieren. nteressant ist das auch vom Aspekt des Mikro- und Makrokosmos: was in einer Person an Möglichkeiten angelegt ist, in verschiedenen Dimensionen zu denken, auf verschiedenen Ebenen zu existieren, das setzt sich fort im Großen. Die Kriege entstehen ja in uns.

Das Motiv des Spiegelbildes ist verwandt mit dem des Doppelgängers. In der Oper (und schon in dem Schauspiel, auf dem die Oper beruht) werden Hoffmanns Gegenspieler vervielfältigt. Du hast für Hoffmann selbst auch einen Doppelgänger eingeführt.

Das hängt zusammen mit der Schlemihl-Geschichte von Chamisso, die in der Oper zitiert wird als Pendant für Hoffmanns Weg. Schlemihl verkauft ja seinen Schatten, aber er merkt, dass er damit nicht leben kann, und rettet sich in die Wissenschaften. Hoffmann verkauft sein Spiegelbild einer Frau, der Giulietta, und rettet sich in die Kunst. Beide Figuren verkaufen ihre Seele letztlich dem Teufel. Es ist das Faust-Motiv. Es signalisiert, dass ein Mensch eine Sache höher stellen können muss als seine Eitelkeit, sonst verliert er sein Selbst. Hoffmann gewinnt in der Oper sich selbst wieder durch den Prozesse des Erzählens. Eine frühe Form der Psychoanalyse.

Antonia (Kerstin Randall) und die Mutter (li)

Darf man die Pointe, dass alle drei Erzählungen Hoffmanns in Wirklichkeit von ein- und derselben Frau handeln, schon zu Anfang verraten?

Erzählt wird es ja nicht. Aber ich habe mir ein Vorspiel auf dem Theater ausgedacht, das als Initialzündung für die Erzählungen von Hoffmann fungiert. Seine angebetete Sängerin Stella zeigt dort drei Gesichter einer Frau: die kokette, puppenhafte Olympia, die romantisch verträumte Sängerin Antonia und die brüskierende, mit ihren weiblichen Reizen provozierende Kurtisane Giulietta. Aus dem Erleben improvisiert er diese drei Frauen-Geschichten. Die Muse, als sein Freund Niklas verkleidet, hilft ihm, das Labyrinth der Gefühle unbeschadet zu durchqueren.

Nicht nur Franz Fühmann hält Hoffmanns Erzählungen für eine Operette. Ist das nicht aber ein Missverständnis, das daher kommt, dass Offenbach als Operettenkomponist berühmt wurde?

Meiner Meinung nach kann man diese Oper als einen genialen Entwurf bezeichnen. Es gibt eine Fülle von Material. Und das Interessante ist, dass der freie Umgang damit sehr der Art entspricht, wie Offenbach gearbeitet und gelebt hat. Er hat noch kurz vor oder sogar noch während einer Vorstellung geändert. Er war ein großer Improvisator. Das ist das Reizvolle – gerade für heute und für mich. Jeder Regisseur muss seine eigene Fassung finden. Das entspricht mir sehr. Ich finde es toll.

Im März 2004
Fotos © Dieter Wuschanski