Wenn man ein Stück „gemacht“ hat, bekommt man ein anderes Verhältnis dazu. Wochenlang, monatelang hat man sich damit auseinander gesetzt und daran gearbeitet. Und wenn man am Ende ist, fühlt man sich wie am Anfang. „Die Zauberflöte“ ist ein so komplexes Werk, dass es sehr reizvoll ist, es wieder zu machen – wenn man das Glück dazu hat. Man hat immer das Gefühl, nur einen Teil des Werkes umgesetzt zu haben. Ich habe es in Osnabrück sehr allgemein inszeniert aus dem Aspekt der Liebe heraus. Ich wollte in Tartu in einem anderen Land mit anderen Leuten noch direkter an das Material heran.
Wir sind in die Realität gegangen und haben gesagt: Es ist eine Dachwohnung, in der Tamino träumt. Das große runde Fenster, vor dem sein Bett steht, ist wie die Spiegelung seiner Träume. Die Träume spiegeln sich in diesem Fenster und kommen zu ihm hinein – auch von dem Gedanken her, dass, wenn wir träumen, die Träume so real sind wie das Leben. Träume sind nur eine andere Ebene des Seins.
Der des Lernens: dass wir in unserem Leben immer uns verändern, neue Dinge lernen, alte über Bord werfen müssen. Dass Tamino bei Sarastro durch die Mysterien seines eigenen Geistes geht, dass er dabei seiner selbst sich bewusst wird, dass er dadurch die Frau, die er liebt, gewinnt – das ist für mich der wichtigste Aspekt. Auch Sarastro und die Königin müssen hinzulernen.
Es ist natürlich ein Verhältnis des Kampfes und der Konfrontation. Es herrscht eine Angst vor dem anderen Geschlecht, vor dieser anderen Welt. Die Männer grenzen sich ab, intensivieren ihre Kulte und Philosophien. Das ist ihre Methode, sich stark zu machen, indem sie sich abgrenzen. Aber Mozart und Schikaneder waren da anderer Meinung. Sie führen die Frauen sukzessive ein in das Stück. Und auch wenn der Königin der Nacht der Coup nicht gelingt, Sarastro auszuschalten, wird trotzdem auch in meiner Inszenierung am Schluss Frieden gestiftet. Es wird eine Frau mit eingeweiht, Pamina. Und bei mir versöhnen sich die Königin der Nacht und Sarastro gewissermaßen in gegenseitiger Koexistenz. Sie werden kooperieren müssen.
Papageno steht ja für die unbändige Natur, den Lebensmut, den Fortpflanzungstrieb und die ganzen archaischen Aspekte in uns: die Triebhaftigkeit, das Existieren aus dem Bauch heraus. Und das ist ein für Mozart und Schikaneder ganz wichtiger Aspekt, dass wir diese „rechte Art zu leben“ bei allen Lernprozessen nicht vergessen; dass es eine ur-menschliche, grundlegende Haltung ist, dass wir mit dem, was wir tun, innerlich und aus dem Bauch heraus harmonieren müssen; dass Nur-Kopf und Konstrukte uns keinen echten Fortschritt bringen.
Ich sehe den Monostatos als einen jungen Mann, der keine Methoden hat, sich seiner Gefühle und Affekte zu erwehren. Er wird affektiv gesteuert mit seinem ganzen Temperament und seiner Wildheit. Er schießt immer über sein Ziel hinaus. Dadurch liefert er sich natürlich Spott und Hohn aus, wird ungerecht und unmenschlich behandelt und rächt sich dafür. Aber ich versuche auch, ihn als einen jungen Mann zu zeigen, der genau diesen anderen Aspekt nicht beachtet: dass man den Kopf einschalten und bestimmte Gesetzmäßigkeiten respektieren muss. Vielleicht ein extremes Bild der dunklen Seite der im Hass Vereinten, Sarastro und Königin.
Die Künstler in Tartu bewegen sich sehr gern. Wenn ich Tanzen gefordert habe, sind sie sofort drauf eingestiegen und haben ihre ursprüngliche, für uns im Team sehr überraschende Bewegungslust aktiviert – eine Lust sich zu bewegen, die bei uns in Deutschland oft schon verschüttet scheint. Das bringt natürlich eine Vitalität ins Stück, die ich sehr genossen habe. Es kam mal während der Arbeit ein Einwand ‚wir sind ja keine Tänzer’ – und da habe ich gesagt, dass sie sehr wohl Tänzer sind; aber ich verlange ja keine Kunstbewegung, sondern ich will ihre Art Tanz und ihre Bewegungslust locken. Und ich glaube, ich habe sie überzeugt.
Die Idee hatte ich schon vorher. Ich wollte dem Stück noch näher auf die Haut rücken. Wir hatten in Osnabrück große kaschierte Tiere, und das hat mich am Ende ein bisschen kalt gelassen. Für mich war ein wichtiger Aspekt, dass ich alles über den Darsteller und den warmen, pulsierenden Körper erzähle. Denn die Tiere sind ja auch in uns.
Ja, unbedingt!