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In Albtraum-Land

Die Uraufführung der Oper „Gogol“ in Wien

Franziska Stürz, in: BR-Klassik (München), Allegro, 16.11.2011

Laut Lera Auerbach ist die russische Geschichte ein albtraumhaftes Märchen, aus dem das Land noch immer nicht erwacht ist. Und so beginnt ihre Oper „Gogol“ auch mit dem ersten Bild von Russland in tiefer Nacht.

Es ist schwarz und kalt auf der Bühne, die Johannes Leiacker mit zerkratzten Kunststoffbahnen wie Eisplatten zu einem nebelverschwommenen Traumland verwandelt. Aus dem schneebedeckten Boden kriechen weißgekleidete Geistergestalten, die Arila Siegert zu beeindruckenden Formationen choreografiert hat.

Der Dichter Gogol erhält von Lera Auerbach viele Stimmen. Als spektakulärster Effekt gelingt die kindliche Verkörperung seiner reinen Seele durch den Grazer Kapellknaben Sebastian Schaffer. Die männliche Seite des von Selbstzweifeln zu Tode geplagten Genies teilen sich Martin Winkler und Otto Katzameier als Folge der kurzfristigen Absage von Bo Skofhus.

Beide Darsteller verschmelzen in Christine Mielitz‘ fesselnder Regie immer wieder miteinander und suchen schützend die Nähe des inneren Kindes, um dann wieder brutal von ihm losgerissen zu werden.

Immer wieder tauchen Figuren aus Gogols Werken im Stück auf, die mit seinem persönlichen Schicksal verschmelzen und sein Empfinden und Handeln bestimmen. So erleben wir Gogol als den träumenden, verliebten Mann vom Newski-Prospekt, der eine Nymphe zu erblicken glaubt und ihr folgt...

...Das Werk gipfelt im Schlussbild einer sich aufrichtenden Eiswand mit Umrissen fallender Menschen, die Gogol letztlich verschluckt, nachdem er mit seinem männlichen Ich gerungen und sich selbst besiegt hat.

Ein starkes Bild für das Ende des Dichters, der durch exzessives Fasten in übersteigertem religiösen Eifer mit 42 Jahren starb.


Schlechtes Gewissen tut gar nicht gut

Teufel auch! In Wien wurde
Lera Auerbachs Oper "Gogol" uraufgeführt

Die Welt, Ulrich Weinzierl, 17.11.2011

Dass die Neutöner sie nicht mögen, beruht auf Gegenseitigkeit: Auch Lera Auerbach, die russisch-amerikanische Komponistin, Pianistin und Literatin, hat mit Moderne und Avantgarde im herkömmlichen Verständnis nichts im Sinn. Deshalb wirken ihre Werke selbst beim ersten Hören halbwegs vertraut. Doch ist es eine Schande, wenn man sich bei ihr an Schostakowitsch erinnert fühlt, wenn einzelne Passagen nach Mussorgski und Rachmaninow klingen? Wichtiger scheint jene innere Stringenz, die sich nicht zuletzt Handwerk und Könnerschaft verdankt. An beidem mangelt es dieser Künstlerin nicht.

Das Problem ihrer im Theater an der Wien uraufgeführten Oper "Gogol" liegt woanders: Wirklich nachvollziehen können die thematische Ballung von Russland, Religion und Wahn wohl nur Eingeweihte, also Kenner und Betroffene. Dass die Premiere zum packenden Erlebnis wurde, hängt mit der Qualität der musiktheatralischen Umsetzung zusammen: Regie und Ausstattung, Solisten und Chor leisten Außerordentliches...

Lera Auerbachs Libretto stülpt das Innenleben Gogols nach außen, personalisiert die psychischen Kräfte, die ihn zerstörten: Dämonen, die Hexe der Sexualität, Tod und Teufel bevölkern die Spielfläche. Fantasie und Wirklichkeit, Vision und Albtraum sind nicht zu trennen: Wahnhaft schlechtes Gewissen und Bußexzesse führen ins Inferno. Dass die gequälte Existenz von Anbeginn im Mittelpunkt steht, erweist sich als kleiner dramaturgischer Nachteil: Steigerungen sind kaum möglich, es lassen sich bloß Facetten des Irreseins präsentieren.

...Staunenswert die Musikalität und Präzision der von Arila Siegert choreografierten Bewegungsabläufe: Aus dem Arnold-Schoenberg-Chor und den Grazer Kapellknaben gestaltet die Regisseurin lebende Skulpturen. Sie gönnt den Augen keine Ruhepause, ohne uns zu ermüden oder den Eindruck des sinnfreien Aktionismus zu erwecken. Jede Geste hat ihren genau kalkulierten Zweck und Effekt: das Geschehen zu verdichten.

Wladimir Fedosseyew am Pult des ORF-Radio-Symphonie-Orchesters sorgt für Spannung und den erforderlichen "russischen" Sound - das zuweilen derb Volkstümliche, Tänzerische mit der Feierlichkeit des Sakralen versöhnend...


"Gogol" als packende Schlachtplatte

Mit Lera Auerbachs "Gogol" feiert das
Theater an der Wien musikalisch und auch szenisch
einen verdienten Erfolg

Kurier, Wien, 17.11.2011

Groß, größer, Gogol - auf diesen Nenner lässt sich die Uraufführung von Lera Auerbachs dreiaktiger Oper "Gogol" im Theater an der Wien bringen. Ganz getreu dem Motto: Klotzen, nicht kleckern. Denn hier ist alles üppig, süffig, ausladend und höchst breitenwirksam angelegt - Minimalisten-Fans könnten leiden. Das gilt sowohl für die Musik als auch für die Inszenierung...

Regisseurin Christine Mielitz findet dazu in Johannes Leiackers tollem, weil Raum-suggerierendem Bühnenbild die kongeniale Erzählweise. Perfekt arrangiert sie die riesigen Chorszenen (exzellent der Arnold Schoenberg Chor, die Grazer Kapellknaben und der Mozart Knabenchor Wien) und setzt Tänzer (toll die Choreografie von Arila Siegert) sowie Artisten ein. Packender und bunter (Kostüme: Kaspar Glarner), zugleich strenger lässt sich Gogols inneres Inferno nicht illustrieren...

Fazit: Die Oper als ganz großes Kino...


Wien jubelt über «Gogol»
von Lera Auerbach

dpa, 16.11.2011

Viel Jubel über «Gogol»: Das abendfüllende Stück der russisch-amerikanischen Komponistin Lera Auerbach hat nach Medienberichten die Premierengäste im Theater an der Wien begeistert. Die «Salzburger Nachrichten» (SN) erlebten am Dienstagabend einen «Triumph», die Nachrichtenagentur APA sah ein «Wahnsinnsstück».

Wien (dpa) - Viel Jubel über «Gogol»: Das abendfüllende Stück der russisch-amerikanischen Komponistin Lera Auerbach hat nach Medienberichten die Premierengäste im Theater an der Wien begeistert. Die «Salzburger Nachrichten» (SN) erlebten am Dienstagabend einen «Triumph», die Nachrichtenagentur APA sah ein «Wahnsinnsstück».

Dabei kommen in den Kritiken Auerbachs Komposition selbst, die Regie von Christine Mielitz und die Pultarbeit von Dirigent Vladimir Fedoseyev gleichermaßen gut weg. Auerbach, die auch das Libretto für die Komposition schrieb, habe keine klassische Biografie verfasst, beschreiben die SN, sondern «ein buntes Spektakel des inneren Wahns». Das Stück folgt zwar der Biografie des russischen Dichters Nikolai Gogol (1809-1852), der sich gegen Ende seines Lebens in (religiösen) Wahn steigerte und schließlich fastend verhungerte. Doch Auerbach geht diese Biografie poetisch an und spart nicht mit satirischen Elementen.

Regisseurin Mielitz stellt nach Urteil der SN «mit souveränem Schauspielsängerensemble eine dynamische Höllenfahrt auf die Beine». Lob gibt es auch für die Musik: Die APA hörte eine «lange, beinahe romantische» Eröffnung und zahlreiche musikalische Anspielungen etwa auf Prokofjew oder Steve Reich. Die 38-jährige Musikerin habe jedoch ein höchst eigenständiges Werk geschaffen.

Das Team und die Solisten um Martin Winkler, Otto Katzameier und Natalya Ushakova machten die Uraufführung des Auftragswerks zu einem «großen russischen Abend im Theater an der Wien», fassten die SN zusammen.


Fantastischer Albtraum

Das Publikumsvotum fiel eindeutig aus:
Die Uraufführung von Lera Auerbachs (38) Oper "Gogol"
erntete 13 Minuten ungetrübten Beifall

Kleine Zeitung, Graz, 17.11.2011

Mit Avantgarde hat Lera Auerbach nichts im Sinn. Die 1973 im Ural geborene, seit 1991 in den USA lebende Komponistin setzt andere Prioritäten: "Wer gegen das Publikum komponiert, hat etwas Grundlegendes missverstanden." Auerbach, die mit sechs Jahren ihren ersten Klavierabend gab und mit zwölf ihre erste Oper schrieb, sucht lieber die Tonalität nach Ausdrucksmöglichkeiten ab.

In der im Auftrag des Theaters an der Wien entstandenen Oper "Gogol" zeigt sich Lera Auerbach, die Gidon Kremer 2001 beim Kammermusikfest in Lockenhaus als Composer in residence vorgestellt hatte, als Erbin von Dmitri Schostakowitsch und Alfred Schnittke, dessen polystilistischen Ansatz sie unter Einbeziehung der Minimal Music fortführt. Ihre vom RSO Wien unter der souveränen Stabführung von Vladimir Fedoseyev aus der Taufe gehobene Partitur verrät ausgeprägten Formsinn und meisterhafte Instrumentation. Sie klingt nicht wirklich neu, erzeugt aber gekonnt Atmosphäre und Spannung, vermittelt eindrucksvoll Ängste und Seelenqualen.

Auerbach, die auch als Autorin zu Ruhm gelangte, hat sich ihr Libretto selbst geschrieben, nicht als Biografie des ukrainischen Dichters Nikolai Gogol, sondern als Fantasie über diesen Meister der Groteske mit dem Hang zur Fantastik und zum Dämonischen...


So klingt der Soundtrack für eine tote Seele

Im Panoptikum der Überbietung:
Lera Auerbachs neue Oper „Gogol“
entfesselt gewaltige Kräfte –
für ein wenig bühnentaugliches Dichterleben.

Dirk Schümer, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.11.2011

Ein sehr russischer Abend: Die Oper beginnt mit einer orthodoxen Prozession in Schnee und Eis, „Herr, erbarme dich unser“, davor ein Dichter mit gespaltener Persönlichkeit, der als Kind eine Katze ertränkt hat und sich nun als Erwachsener – nicht ganz zu Unrecht – immer noch dafür schämt: „Gogol“. Es schneit Schnee, es schneit Schuldgefühle, es schneit Visionen von vollbusigen Babuschkas, vom rothaarigen Teufel, von Väterchen Frost, der am Bühnenhimmel im glitzernden Silberkostüm seine Hochseilnummern turnt. Und aus dem Orchestergraben kommt mit „Boris Godunow“-Glockengeläut und Rimsky-Korsakow-Harfensäuseln, mit Refrains altrussischer Balladen und den Stakkati von Volkstänzen und Popengesängen in kirchenslawischer Pentatonik eine sehr russische Musik. Lera Auerbach, Jahrgang 1973, aus Tscheljabinsk am Ural, hat diese Oper geschrieben und komponiert. Und es dauert nur ein paar Minuten, da fühlt man sich nicht mehr im gemütlichen Theater an der Wien, sondern in einem ukrainischen Kosakenlager, in einer ungeheizten Moskauer Wohnung oder gleich mitten im kleinrussischen Hirn (oder russischen Kleinhirn?) dieses sehr genialen, sehr kranken Dichters namens Nikolai Gogol.

Die hochbegabte Lera Auerbach muss man allein schon dafür bewundern, dass sie keinem Atonalitätsverdikt, keiner seriellen Mode europäischer Avantgarde brav gehorcht, sondern selbstbewusst in sich und ihre Historie hineinhorcht und daraus einen Soundtrack für die Seelenpein ihres Protagonisten schöpft... Der gewaltige Soundtrack für eine tote Seele passt zum russisch-pathetischen Flair dieser Produktion, die so überfließend, so seelenvoll, so gottesnärrisch traditionsverliebt daherkommt, dass es in all der eisigen Weite der Klänge schon fast wieder rührend wirkt. Denn draußen – man merkt es schnell – fließt ja gar nicht breit die Wolga oder der Dnjepr, sondern ein Bächlein namens Wien im Novembernebel unterm Naschmarkt hindurch. Gogol, der hier jede Leckerei verschmäht hätte, ist Lera Auerbach gar reichlich Würze und Gourmandise wert...


Tod und Teufelsgeigerei

Lera Auerbach brilliert in Wien
mit ihrer Künstleroper 'Gogol'

Reinhard Brembeck, Süddeutsche Zeitung, 17.11.2011

Opern über Künstler haben es schwer auf den Bühnen. Kaum eine findet den Weg ins Repertoire. Dennoch sind Künstleropern seit Jahren beliebt. Weil sie fern einer erfundenen Handlung monoman eine Befindlichkeit verhandeln, die Komponisten nur allzu gut kennen. Dabei geht es in der Regel nur um Probleme - mit dem eigenen Schaffen, der Rezeption, der Umwelt, den Frauen...

Künstleroper - das ist für viele Komponisten so etwas wie öffentlich Tagebuch führen und dabei hemmungslos jammern... Nun hat auch die Komponistin Lera Auerbach mit 'Gogol' eine Künstleroper geliefert, uraufgeführt am Theater an der Wien. Auerbach, noch keine 40 Jahre alt, kommt aus Russland, studierte in den USA und Deutschland und ist gut im Geschäft - demnächst wird die Dresdner Staatskapelle ihr 'Dresden Requiem' erstaufführen. Doch von der zentraleuropäischen Avantgarde ist Auerbach hörbar unbeeinflusst. Näher steht sie dem folkloristischen Modernismus eines Osvaldo Golijov oder Daniel Catán. In erster Linie aber versteht sie sich als russische Komponistin. Ohne alle Berührungsängste stellt sie sich in eine Reihe mit Mussorgski, Schostakowitsch, Schnittke. Sie imitiert diese nicht. Sie begreift das Idiom ihrer Vorgänger als eine Lingua franca, die sie phantasievoll und bruchlos weiterspinnt...

Auerbach hat auch das Libretto selbst verfasst. Das Ganze ist eine große, grelle Sterbephantasie des Nikolai Gogol (1809-1852). Da erblickt der schräge Dichter in der Retrospektive ein Leben, das mit den kruden Charakteren seiner Bücher angefüllt ist: tote Seelen, Revisoren, einsame Nasen, Lady Tod, Teufel und Hexe. Das alles ist gewitzt gemischt. Zudem sind Sterbeszenen von jeher die Domäne der Musik. Ob hier nun Gogol stirbt oder irgendein anderer Mensch, der von seinen Sehnsüchten, Unfähigkeiten, Leidenschaften, Spleens und Dämonen heimgesucht wird, ist trotz des vor Gogol-Details überschäumenden Textes völlig egal. Auch dies ein Grund für den großen Erfolg. Doch so dramatisch dunkel wühlend sich Auerbachs Musik gibt, es fehlt ihr als ebenbürtiger Gegenspieler der Dichter, der in Wien gleich von drei Sängern gezeigt wird: dem grandiosen Grazer Kapellknaben Sebastian Schaffer, dem zerquälten Martin Winkler, dem kühl konzentrierten Otto Katzameier - nach der Absage von Bo Skovhus vor knapp zwei Monaten wurde die lange und anspruchsvolle Rolle theatralisch sinnvoll auf zwei Baritonisten verteilt...

Christine Mielitz hat das alles fließend und ohne Mätzchen auf die dunkle Traumbühne von Johannes Leiacker gebracht, die wenige durchsichtige Prospekte mit Lichteffekten kurzschließt. Kaspar Glarner hat das Hexensabbat-Personal vorwiegend in Weiß kostümiert, manche Oberteufel auch bunt-folkloristisch - ganz im Stil der Musik, die immer wieder Klezmeranklänge, Teufelsgeigerei und Volkstänze einstreut. Was die unangestrengte Choreographie von Arila Siegert notwendig macht, die sich nicht bloß auf die Tänze beschränkt. Vladimir Fedoseyev animiert die Wiener ORF-Symphoniker zu großen Leidensorgien, Totentänzen, zu Seelengejammer und Hexengekreisch. So kann der zwischen religiösen Zwangsvorstellungen, Kunstträumen und der Wirklichkeit zerrissene Gogol zuletzt befriedet in die Hölle fahren.


Wenn der Schnee brennt

Uraufführung von Lera Auerbachs Oper „Gogol“ in Wien

Joachim Lange, Frankfurter Rundschau, 19.11.2011

...Ein großer Vorzug von Auerbachs "Opera-misteria" liegt in dem, was sie nicht macht. In dem vielschichtigen, poetisch aufgeschäumten Libretto erzählt sie nämlich nicht das Leben dieses sonderbaren Beschwörers von toten Seelen nach, des Jägers einer verloren gegangenen Nase oder des Wortschneiders eines Mantels nach, der sich in einem Anfall von religiösem Wahn 1852 mit nur 42 Jahren buchstäblich zu Tode gehungert. Sie versucht vielmehr, in seine Psyche einzudringen, die Obsessionen und Ängste, für die Schreiben der einzige Ausweg war. Da kommen dann sowohl der Teufel Bes und die Hexe Poshlust (Gemeinheit), eine Maria und Nymphen, eine ganze Kollektion von Bräuten und schließlich, im finalen imaginären Gerichtsverfahren, Richter, Ankläger und Verteidiger vor. Den eigenen Tod, den bringt Gogol hier sogar um. Dass der Held als Knabe Nikolka (Sebastian Schaffer) und dann als Erwachsener gleich doppelt vorkommt, ist eigentlich dem Umstand geschuldet, dass der vorgesehene Bo Skovhus kurzfristig aussteigen musste. Aber das Ergebnis ist so sinnvoll, dass man bei den sicherlich anstehenden Folgeinszenierungen dabei bleiben könnte.

Da sich Auerbach im vital aufgepeitschten dritten Akt in einer temperamentvollen, ziemlich geschickten Anspielung auf Schostakowitschs avantgardistischen Opernwurf bezieht, den er aus Gogols "Nase" gemacht hat, setzt sie sich selbst explizit dem Vergleich mit ihrem berühmten Landsmann aus. Allerdings erscheint der nie wirklich dem Diktat stalinistischer und sowjetischer Kulturpolitik Entkommene in dieser Konfrontation dabei als der ungleich Radikalere und Modernere...

Die Inszenierung von Christine Mielitz freilich ist ein Wurf. Sie balanciert stilsicher auf einem schmalen Grat zwischen evozierter Opulenz, unmittelbar dem musikalischen Impuls folgender Handlung, und dem klug integrierten Beitrag der längst als Opernregisseurin etablierten Choreographin Arila Siegert. Johannes Leiacker macht die Bühne zu einer Alptraumlandschaft. Hinterm durchsichtigen Plastikvorhang gibt es sowohl den metaphorischen Schneesturm als auch einen endlos wirkenden Zeittunnel. Auf der verschneiten Schräge folgen Geisterbeschwörungen, tummeln sich aufmarschierende Bräute wie im russischen Märchenfilm, finden sich die Abdrücke toter Seelen, die an das Jüngste Gericht erinnern. Und sie ist die Spielfläche für das von Kaspar Glarner zum Teil grotesk kostümierte Personal aus den Stücken und Alpträumen des Dichters.

Dessen stimmgewaltige Alter Egos, Martin Winkler und Otto Katzameier, sind mit einer stilisierten Locke ihres Vorbildes gezeichnet. Der wandlungsfähige smarte Teufel (Ladislav Elgr) ist rothaarig, trägt Jeans und seinen nackten Bauch zur Schau. Für die dankbarste weibliche Rolle, die vollbusige Hexe Poshlust, legt sich Natalia Ushakova vehement ins Zeug. Die Geister und Dämonen aus Tänzern und Arnold Schoenberg Chor sind von Arila Siegert hochprofessionell und punktgenau geführt. Aus all diesen Zutaten macht Christine Mielitz eine packende szenische Revue, über der - wie von Chagall entlehnt - ein glitzernder Fiedler schwebt oder auch schon mal der Schnee brennt und religiöse Utensilien durch die Luft wirbeln. So entsteht, alles in allem, dann doch mehr als nur eine Ahnung vom Lebensalbtraum einer berühmten verlorenen Seele.


Heile Welt auf historischem Boden

Das Theater an der Wien mit der Uraufführung
von Lera Auerbachs Oper «Gogol»

Daniel Ender, Neue Zürcher Zeitung, 17. November 2011

...Arbeit an der Zukunft, Vergegenwärtigung der eigenen Situation – das sind normalerweise die selbst gestellten Aufgaben von Kunst, die heute entsteht. Im Fall der jüngsten im Theater an der Wien gezeigten Uraufführung kann freilich von beidem keine Rede sein. Denn für ihren «Gogol» hat die in New York und Hamburg lebende Russin Lera Auerbach eine Musik geschrieben, an der die Entwicklungen der letzten einhundert Jahre mit Ausnahme des Broadway und des Films offenbar spurlos vorbeigegangen sind. Mit ihrem eigenen Libretto hat die Komponistin zwar eine beziehungsreiche Montage aus Texten und biografischen Stationen des dem Wahnsinn anheimgefallenen Dichters geschaffen, die sich womöglich trotz mancher naiv anmutender Wendung durchaus als Vorlage für ein Musiktheater eignen könnte. Doch bewegt sich Auerbach musikalisch in einer heilen Welt, die in einem geradezu abstrusen Gegensatz zum Sujet dieser «Opera misteria» steht.

Ihr Ausgangspunkt ist die Spät- und Nachromantik irgendwo zwischen Wagner und Mussorgsky, ihr Bezugssystem die dazugehörige Tonalität, die zuweilen wie verschämt verunklart wird, wenn dissonante Zusätze das einfache harmonische Gerüst oder die bescheidene Melodik begleiten. Semantisch ist die Musik von simpler Eindeutigkeit: Ein farbloser Walzer ertönt, wenn ironisch von Wien die Rede ist, ein homofoner Satz aus reinen Akkorden, wenn vom ewigen Leben gesprochen wird. Folkloristische Anklänge, Rhythmisierungen wie in amerikanischer Popularmusik der Jahrhundertmitte, etwa stereotyp wiederkehrende Synkopen oder Triolenbildungen, durchziehen das handwerklich schlicht gearbeitete Werk, und im dritten Akt landet Auerbach endgültig in der Welt des Musicals, wenn sie volkstümliche Melodik und primitive Tanzrhythmen zu einer revueartigen Nummer verquickt...


„Gogol“: Wahnsinn & Weltschmerz

Lera Auerbachs Oper „Gogol“ uraufgeführt

oe24.at, E. Hirschmann, 16. November 2011

Die russische Komponistin, Pianistin und Autorin Lera Auerbach hat für das Theater an der Wien ein Auftragswerk geschrieben, das am Dienstag unter dem Jubel des Publikums zur Uraufführung gelangte. Gogol heißt Auerbachs groß besetzte musiktheatralische Fantasie, die sich an den Lebensstationen des russischen Dichters und religiösen Fanatikers Nikolai Gogol orientiert, dessen Werke Tote Seelen oder Der Revisor zur Weltliteratur gehören. Der Schriftsteller litt an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose und hungerte sich mit 42 Jahren zu Tode.

Auerbachs Musik gemahnt an Prokofjew und Steve Reich, besticht durch romantizistische russische Rhythmik und macht Gogols Wahnsinn, Weltschmerz und Höllenfahrt sinnlich erfahrbar. Das RSO Wien unter Vladimir Fedoseyev, drei Chöre, Tänzer und hervorragende Solisten, allen voran Martin Winkler als irrer Titelheld, sowie die hinreißende Regie von Christine Mielitz sorgen für einen furiosen Theaterabend.


Der hysterische Gogol singt
nur fade Tonleitern

Die Uraufführung von Lera Auerbachs Oper wurde zur luxuriösen Grablegung des Genres Oper: exzellente Regie, ein erstklassiger Dirigent, aber weit und breit nichts zu inszenieren oder zu dirigieren...

Wilhelm Sinkovicz, Die Presse, Wien, 17.11.2011

An Uraufführungen zeitgenössischer Opern herrscht, anders lautenden Gerüchten zum Trotz, kein wirklicher Mangel. Die meisten der allseits mit viel Budgetgeld finanzierten „Weltpremieren“ nähren im Zuschauer Zweifel an der Lebensfähigkeit der Gattung. Manche aber darf man sogar als trefflichen Beweis für die These werten, dass die Oper als Genre längst mausetot ist. Lera Auerbachs „Gogol“, als Auftragswerk im Theater an der Wien herausgebracht, gehört zu dieser Spezies. So sinnentleert scheinen die althergebrachten Musiktheater-Formen nicht einmal bei den Fließbandprodukten der Minimalisten...

Gogol? Angesichts des offenkundigen Mangels an sprachlicher Kunstfertigkeit würde der Zuschauer wohl auch mit Leben und Künstlerleid eines drittklassigen Provinzpoeten aus Sibirien vorliebnehmen. Das würde zum Text passen. Doch landet man nolens volens bei Shakespeare: Much Ado About Nothing...


Opernwahngeschöpfe
eines verdoppelten Dichters

Uraufführung von "Gogol" im Theater an der Wien

Ljubiša Tošic, Der Standard, Wien, 17. November 2011

Von der Papierform her eine vielversprechende Angelegenheit: Lera Auerbachs Gogol ist gottlob nicht angelegt als lineare Opernbiografie des seinerzeit aufklärerisch wirksamen, dann aber ins Religiös-Sektiererische abdriftenden, sein Werk verbrennenden russischen Dichters. In sieben Delirium-Szenen stehen vielmehr Teile seiner literarischen Figurenwelt neben Dichterängsten und Selbstquälereien auf der Bühne...

Zu sehen gibt es also einiges - und doch: Es entsteht insgesamt der Eindruck eines seltsamen Dahinwälzens, die "Geschichte" scheint der Musik wie ein Mühlstein um den Hals zu hängen. Und bisweilen verhält es sich umgekehrt. Kurzum: Dramaturgisch ist Gogol von bescheidener Kompaktheit, zumal die Musik nicht immer ihren Hang zur Ausführlichkeit bändigen kann...


„Gogol“: Gott,
ich habe mein Leben nur geträumt

Ernst P. Strobl, Salzburger Nachrichten, 17. November 2011

Das Barockgärtlein Theater an der Wien hat auch anderes zu bieten, aber die Uraufführung einer Oper, noch dazu einer Auftragsarbeit des Hauses, ist doch was ganz Seltenes. Die 38-jährige Russin Lera Auerbach ist ein erstaunliches Multitalent, seit frühen Jahren schrieb sie neben dem Klavierstudium Theaterstücke, Poesie und Prosa, und komponierte in den vergangenen Jahren ein langes Werkverzeichnis zusammen, das von Oper über Ballett bis hin zu Orchester- oder Klaviermusik reicht. Derzeit zeigt eine Moskauer Galerie ihre Collagen, um nur eine weitere Facette hinzuzufügen. Müßig zu erwähnen, dass Lera Auerbach das Libretto ihrer neuen Oper „Gogol“ selbst verfasste. Ihrem Bekenntnis, nicht „am Publikum vorbei“ zu komponieren, blieb sie treu, auch das war einer der Gründe, dass „Gogol“ am Dienstag nach zweieinhalb Stunden geradezu bejubelt wurde... Langweilig ist es nie.


Uraufführung von Lera Auerbachs Oper "Gogol"
im Theater an der Wien

Nur der Kosakenchor fehlt

Christoph Irrgeher, Wiener Zeitung, 17.11.2011

Womöglich sind Literaturwissenschaftler ja ein masochistisches Völkchen. Kafkas "Verschollener", Musils "Mann ohne Eigenschaften", Gogols "Tote Seelen": Wer derlei zu Meisterwerken erhebt, verschafft sich selbst endlose Sehnsuchtsqual, wohnt diesen Werken doch ein entscheidender Fabrikationsfehler inne: das fehlende Ende. Und weil sich die Literaturwissenschaft nun einmal auf einen gewissen Purismus versteift hat - nur Gogol darf Gogol schreiben -, wird sich an diesem Makel auch nichts mehr ändern.

Weniger pedantische Gemüter können sich für solche Defizite freilich durch eine Gogol-Novität entschädigen, die Lera Auerbach nun für das Theater an der Wien geschaffen hat. In ihrer Oper glänzt die Russin insofern als Allrounderin, als sie Text und Musik selbst geschrieben hat. Dabei hat ihr Text tatsächlich zwei Vorteile. Er vereint nicht nur etliche Gogol-Figuren zu einem Werk. Weil dieses Werk durch Handlungsarmut glänzt - wir sehen eigentlich nur die Wahnfantasien eines kurz vor dem Tod hysterischen Autors -, verwirrt es Gogol-Kenner auch nicht durch ein Übermaß an neuer Information.

Selbiges gilt für die Musik. Böse Zungen könnten darin sogar ein tönendes Identitätsproblem orten, denn diese Oper klingt bald fast wie Schostakowitsch, bald zirka wie Strawinski, bald wie ein Mussorgski ohne dramatische Spannkraft. Was der wohlmeinende Hörer dagegenhalten mag? Dass Auerbach, wie ihr literarisches Sujet, ja vielleicht ganz bewusst zur Karikatur greift. Das würde allerdings bedeuten, dass fast der ganze Opernabend eine wäre...

Und so blieb das Publikum zuletzt nicht den Premierenapplaus schuldig - auch wenn dieser zweieinhalbstündige Opernabend ungefähr um die Hälfte zu lang war. Doch glücklich, wer nicht zweifelt. Gogol, der geniale, hat den zweiten Teil seiner "Toten Seelen" einst verbrannt.


Der doppelte Dichter im Schnee

Christine Mielitz inszeniert in Wien die Uraufführung
von Lera Auerbachs Oper »Gogol«

Roberto Becker, Neues Deutschland, 22.11.2011
(etwas verkürzt in: Freies Wort, Südthüringer Zeitung, Meininger Tagblatt, 18.11.2011)

...Am Ende der bejubelten Uraufführung wirkten sie allesamt zufrieden und demonstrativ entspannt. Der auf Erfolgskurs segelnde Intendant, Roland Geyer, hatte nämlich für das Auftragswerk Vollprofis zusammengebracht, für die die Wechselfälle des Theater-Lebens inspirierender Ansporn bei der Suche nach pragmatischen Lösungen sind. Und die sehen hier obendrein auch noch so aus, als wäre nie etwas anderes beabsichtigt gewesen.

Dass Christine Mielitz damit umgehen kann, verwundert natürlich nicht. Die Theaterfrau aus dem Osten ist mit allen Wassern gewaschen und hat, im Bunde mit ihrem Bühnenbildner Johannes Leiacker und der längst selbst als Opernregisseurin erfahrenen Arila Siegert für die sinnstiftend beigesteuerte Choreografie von Tänzertruppe und »Arnold Schoenberg Chor«, sogar den überzeugendsten Beitrag zu diesem Gesamtkunstwerk beigesteuert...

Was sich die imponierend produktive Künstlerin [Lera Auerbach] zu Gogol ausgedacht, also zuerst als Theaterstück gedichtet, dann zum Opernlibretto verdichtet und schließlich vertont hat, ist keine Episodensammlung aus dem Leben des Erfinders der »toten Seelen«, des »Revisors« oder der »Nase«, sondern der Versuch, sich dessen vertrackter, verzweifelter Psyche zu nähern, seine Dämonen und erfundenen Gestalten zu beschwören, die russische Seele in Schwingungen zu versetzen. Das ist so modern und offen gedichtet wie eingängig und erstaunlich unmodern komponiert. Vergleicht man diese vital ausufernde, melodisch eingängige Musik mit ihren Ausflügen in die witzig groteske Überzeichnung, etwa mit Schostakowitschs »Nase«, käme man wohl nicht auf den Gedanken, dass »Gogol« Jahrzehnte danach geschrieben ist...

Und da trifft sie auf eine stilsicher mit russischen Assoziationen spielende Szene, die sich gleichwohl nie in tümelnder illustrierender Folklore verliert. Ganz gleich, ob da ein Fiedler über der Schneelandschaft Purzelbäume schlägt, russische Bräute wie im Märchenfilm aufmarschieren und den armen Gogol das Fürchten lehren, eine Prima Ballerina über die Szene schwebt oder sich die angekippte Schneelandschaft wie ein Höllenschlund (oder vielleicht doch eine Himmelspforte?) öffnet. Das hat alles souveränes Maß, kommt ohne übertriebene Motorik aus, beglaubigt alles aus der Musik. Es ist eine der überzeugendsten Inszenierungen der ihres Intendantenpostens in Dortmund ledigen Regisseurin, die längst niemandem mehr irgendetwas beweisen muss.


Tod, Spott und Wahn

Uraufführung von Lera Auerbachs Oper "Gogol"
am Theater an der Wien

Frieder Reininghaus, DLF-Kultur Heute, 16.11.2011

...Noch entschiedener als Anno Schreier, dessen "Stadt der Blinden" am vergangen Samstag in Zürich herauskam, griff Lera Auerbach als Komponistin bei ihrer ersten großen Oper auf Schreibweisen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurück, ohne diese einfach zu kopieren. In das reichhaltige Sortiment ihrer ererbten Bauelemente wurde die sentimentale russische Volksmelodie ebenso eingebracht wie die Fortschreibung rhythmisch pointierter grimassierender Schostakowitsch-Piècen und bewährte Patterns der Filmmusik älterer Bauart.

Das historisch Geprägte wurde in ein kompositorisches Netzwerk sui generis eingebracht, also in mehr oder weniger starkem Maß anverwandelt, auch angereichert mit Klangfiguren und Effekten, wie sie sich am Ende des 20. Jahrhunderts eingebürgert haben. Interessanterweise operierte die Gesamtkunstwerkerin als Librettistin mit avancierten Modellen. Sie verzichtete auf lineare Handlung und narrativen Text, suchte Annäherung an Nikolaj Gogol mit lose gereihten Szenen und luftigen literarischen Metaphern, in denen zunächst eher allgemein die Lebenswelt des Autors und Außenseiters aufscheint - mit einem prächtig chorgestützten "Wiegenlied an den Mond", der, so das Libretto, in Hamburg hergestellt wird und daher aus russischer Sicht nicht wirklich taugt...


Arila Siegert "dynamisiert" die Figuren mit ihrer Choreografie der Dämonen...

...so Bernhard Doppler, in: Fazit, DeutschlandRadio, 16.11.2011,
Live-Gesprächs-Rezension)

Gogol, Theater an der Wien, Vienna

By Shirley Apthorp, Financial Times London, November 23, 2011 
(about the third performance, November 21)

...Auerbach, who enjoys a career as a solo pianist and writes poetry, has penned her own libretto for her first opera. The action takes place around Gogol’s deathbed, as various incarnations of the writer interact with the demons and dead of his own literary works and characters from his past. Director Christine Mielitz fills the stage with frenetic supernumaries, costumed by Kaspar Glarner in hackneyed combinations of black and white, with touches of red. We see a 1990s vision of purgatory, with moments of whimsy (in order to escape from himself in the third act, Gogol dresses up as one of the Leningrad Cowboys)...

In the end, Auerbach does succeed in giving us a taste of the black misery that must have dogged Gogol’s last days. But this hardly constitutes a major insight into the great writer’s output, any more than it makes a significant contribution to the genre of music theatre. When death finally triumphs, we are left with a sense of relief.


Gogol auf der Bühne des
Theaters an der Wien

Igor Belov, Stimme Russlands,16.11.2011, 13:21 h
Am 15. November fand in der österreichischen Haupstadt im neuen Opernhaus „Theater an der Wien“ die Uraufführung der Opera-misteria über die geheimnisvolle Gestalt des großen russischen Schriftstellers Nikolaj Gogol statt. Unser Korrespondent in Mitteleuropa Igor Belov berichtet vor Ort über den Inhalt dieses bemerkenswerten Stückes und dessen prominente Gestalter.

Die Autorin der Oper, die 38-jährige Komponistin und Dichterin Lera Auerbach versucht für den bis heute verstörenden Tod des genialen Schriftstellers Nikolaj Gogol eine eigene poetische sowie musikalische Sprache zu finden und bringt in ihrem Libretto Gogol mit Gestalten aus seinen eigenen Werken zusammen. Recht einfallsreich werden dabei Momente der Zerrissenheit und Verzweiflung von Nikolaj Gogol gezeigt. Bekanntlich verbrannte der Schriftsteller in einem religiös-seelischen Anfall nicht nur den zweiten Teil seines großen Romans Die toten Seelen, sondern starb schliesslich im Alter von nur 42 Jahren im Jahre 1852 an den Folgen strengen Fastens...

Die Autorin der Musik und Libretto Lera Auerbach, geboren in Russland, jetzt wohnhaft abwechselnd in New York und Hamburg, hat nach ihrer eigenen Aussage sowohl die gesammelten Werke von Gogol als auch mehr als 20 Bücher, die über ihn geschrieben wurden, gelesen, bevor sie mit der Arbeit an der Oper begonnen hatte. Sie hat aber keine historische Darstellung einer Lebensgeschichte angestrebt, sondern wollte eine traumhafte Vision der inneren Leidenschaften, des Wahnsinns und des Genies von Gogol auf die Bühne bringen. Opern, die wie „Boris Godunow“ von Mussorgskij auf historischen Stoffen basieren, können auch als „tragische Märchen für Erwachsene“ betrachtet werden, meint Lera Auerbach. Auch die Oper „Gogol“ ist eindeutig eine russische Oper und die russische Geschichte ist ein alptraumhaftes Märchen, fügte sie während der Pressekonferenz hinzu...


Im Opernglas,2012 Heft 1, schreibt Th. Rauchenwald u.a.

...Russland im Mittelpunkt einer Oper, keine Handlung im engeren Sinne, sondern nur Seelenzustände des von Schizophrenie, Anorexie, Neurosen, Alkoholismus und Depression gepeinigten Literaten - was für Rahmenbedingungen für die über eine richtige Operntheaterpranke verfügende deutsche Regisseurin Christine Mielitz, die Auerbachs neues Werk in einer an pralles Varieté und anspielungsreiche Pantomime erinnernden Ausstattung (Bühne von Johannes Leiacker, Kostüme von Kaspar Glarner, Licht von Stefan Bolliger, Choreografie von Arila Siegert) in Szene setzt und dabei sichtbar versucht, dem musikalischen Einheitsbrei einen Kontrapunkt durch prägnante Charakterzeichnung der handelnden Personen und grelle Bilder zu setzen. Die diffizile Personenführung überzeugte wie immer, obwohl auch hier manches ein wenig aufgesetzt und überdreht wirkte...

In der Opernwelt, 2012 Heft 1, befasst sich Hartmut Regitz vor allem mit dem Werk und verteidigt es gegen abwehrende Stimmen der Wiener Presse:

...Der satte Orchesterklag, das emotionelle Crescendo, wie sie [Lera Auerbach] es selbst nennt, will erst verinnerlicht werden, bevor man im scheinbar Bewährten etwas Neues erspürt. Bildhaft möchte man sagen: Ihre Musik ist keineswegs Schnee von gestern, selbst wenn es in Gogol mal demonstrativ schneit. Die Oper hat vielmehr etwas von einem Naturereignis, das einen zunächst erst einmal überwältigt. Und zwar nicht bloß das Publikum, das die Uraufführung im Theater an der Wien als veritables Ereignis feiert, sondern auch den gedoppelten Protagonisten, dem der Leibhaftige in Gestalt des Dämon Bes ebenso erscheint wie die Banalität des Seins, das sich in der Hexe Poshlust verkörpert...


Nach-Bericht:

Von der Spaß-Idee zum Bühnenerfolg

Sebastian Schaffer und Florian Lienhart von den
Grazer Kapellknaben wirken bei "Gogol" mit

Eva Schulz, Kleine Zeitung, Graz, 20.11.2011

GRAZ. Am Dienstag fand im Theater an der Wien eine umjubelte Uraufführung von Lera Auerbachs Oper "Gogol" statt. Die Grazer Kapellknaben und zwei Solisten daraus haben am Erfolg nicht unwesentlich mitgewirkt.

Zuerst war es nur eine "Spaßidee an einem Probenwochenende im Sommer", erzählt der zwölfjährige Sebastian Schaffer von den ersten Versuchen seines Chorleiters Matthias Unterkofler. Bald aber wurden schon immer öfter Auszüge aus der Oper geprobt. "Ein Stimmbildner, der russisch kann, hat mit uns Aussprache gelernt", ergänzt der 14-jährige Florian Lienhart. Dann kam das aufregende Vorsingen in Wien; einen Monat später fiel die Entscheidung auf die beiden talentierten Kapellknaben. Für die Proben mussten Sebastian und Florian sogar ein paar Wochen in ein Wiener Internat übersiedeln. Der russische Text war nicht einfach zu lernen und auch szenisch hat man in der Rolle des Nikolka dauernd zu tun. Aber man hat "schon a Gaudi mit den Solisten" und lernt "tolle Leute kennen". Bei der Regisseurin hat Florian allerdings öfter "z'ruckgredt".

Inhaltlich wissen die zwei bestens Bescheid. Dass der Dichter Gogol ein verrückter Mensch war, darüber sind sie sich einig. "Es ist alles ziemlich stürmisch", meint Florian. " Meine Mutter hat mir ein Buch von dem gekauft und das gefällt mir eigentlich schon", ergänzt Sebastian. Ob sie einmal Opernsänger werden wollen? "Bin mir nicht sicher", sagt Sebastian. "Na!" sagt Florian voll Inbrunst. "Warte, bis du den Applaus hörst!" gibt da Sebastian zu bedenken.


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