EISENACH – Ein Frau ist erbost und besteht lautstark auf ihrem Recht! Ihr Lieblings-Krug ist in der Nacht zerdeppert worden. Und sie hat den Übeltäter im Zimmer der Tochter selbst gestellt! Der leugnet zwar beharrlich, aber der Knabe ist nicht nur höchst verdächtig, er ist ohnehin ein Dorn im potentiellen Schwiegermutter-Auge. Es geht natürlich um den berühmtesten Krug der deutschen Literatur-Geschichte.
Dem Gericht, zu dem sich die Besitzerin schimpfend aufmacht, steht keine Barabara Salesch vor, sondern ein gewisser Adam. Dorfrichter seines Zeichens. Einer, bei dem einem schon beim ersten Anblick nicht nur das Wort vom Rechtsverdreher in den Sinn kommt, sondern auch der Verdacht, dass er selbst der Übeltäter sein könnte. Zu allem Überfluss ist nicht nur seine amtliche Richter-Perücke verschwunden: Zwei Platzwunden verzieren obendrein seinen Schädel. Zum Gerichtstag kommt neben Frau Marthe und Gefolge auch Gerichtsrat Walter, der für die Obrigkeit nach dem Rechten auf dem Lande sehen soll...
Aus Heinrich von Kleists (1777-1811) hintersinniger Komödie vom Zerbrochenen Krug hat der sächsische Komponist Fritz Geißler (1921-84) eine Kammeroper gemacht. Sie ist 1971 in Leipzig uraufgeführt worden, blieb dort zehn Jahre im Repertoire und ist auch sonst an vielen Bühnen gespielt worden. Die Vertonung von Kleists Lustspielparabel über die Schwierigkeiten der Wahrheitsfindung in preußischen Amtsstuben und über die menschlichen Schwächen dauert 70 Minuten, braucht ein kleines Orchester und Sänger für sechs Haupt- und vier Nebenrollen. In der dem Theater Eisenach ab jetzt zur Verfügung stehenden Spielstätte Alte Mälzerei wirkt dieses kurzweilig amüsante Spektakel wie ein Lokaltermin vor Ort.
In die Dachbodenatmosphäre hat Bühnenbildner Hendrik Kürsten einen großen Sandkasten gebaut. Ein Lehnsessel für den Richter, ein bisschen Büromüll und ein gefüllter Kühlschrank reichen. Die mittlerweile auch als Opernregisseurin arrivierte Tanztheaterfrau Arila Siegert hat jeden Zentimeter des knapp bemessenen Raumes ausgenutzt: mit dosierter dramatischer Geste oder Pantomimenspiel, mit dem die Darsteller Atmosphäre schaffen, wenn Frau Marthe oder der ertappte Knabe ihre Geschichte vortragen.
Die Musik umspielt die Kleistschen Worte, erzählt melodisch und pointiert. Pure Theatermusik, der Arila Siegert mit gekonnter Personenführung folgt. Mit dosiertem Aufplustern und ebensolchen Abstürzen, und sei es auch nur vom Sesselrand in den Sand, mit organisiertem Chaos der Ensembleszenen und einem Fokus auf die Darsteller. Auf Ernst Volker Schwarz als den schlitzohrigen Richter und auf Helmut Kleinen mit dem Grinsen des karrieregeilen Schreibers Licht. Auf Elke Hartmann als resolute Krugbesitzerin Marthe ebenso wie auf Susanne Beyer als nur am Anfang eingeschüchterte Eve. Auf Edilberto Regalado Ordoñez als ihren zu Unrecht verdächtigen Bräutigam Ruprecht und auf Roland Hartmann, als Gerichtsrat Walter.
Alles ist präzise gezeichnet und fügt sich unter der von Wolfgang Wappler kundig entfachten kammermusikalischen Schützenhilfe zu einem unterhaltenden und empfehlenswerten Lokaltermin.
Wann immer Weltliteratur in Töne transformiert wurde, weckte das Erwartungen. So auch vor der Eisenacher Erstaufführung von Fritz Geißlers Kammeroper "Der zerbrochene Krug" nach dem gleichnamigen Lustspiel von Heinrich von Kleist.
Fritz Geißler (1921-1984), dessen Werke heute weitgehend außer Sicht- und Hörweite geraten sind, gab sich zu DDR-Zeiten offiziell staatstreu, galt aber auch immer wieder als politisch unbequem. Als Komponist hat er die Gattungen Sinfonik, Kammermusik, Oratorium, Musiktheater und Ballettmusik gleichermaßen reich bedient. Die Entwicklung seiner Schreibweise führte über die seinerzeit avantgardistische Aleatorik bis zur neoromantischen "neuen Einfachheit". Zur Ersteren gehört "Der zerbrochene Krug", seine erste Oper, eine Kammeroper in sieben Szenen für sieben Hauptdarsteller, die 1971 in Leipzig uraufgeführt wurde.
Das Theater Eisenach hat mit der Alten Mälzerei eine Spielstätte hinzugewonnen, die sich für Experimentelles und am Rande Angesiedeltes bestens eignet, also auch als Schauplatz, wo über die Trümmer eines kostbaren Gefäßes verhandelt werden kann. Regisseurin Arila Siegert sieht alle beteiligten Personen als moralisch Gebrochene und nimmt jeden aus jeder Vorverurteilung aus. Als Spielfläche wählte sie einen Sandkasten, darin der Sand, auf dem nichts Bestand hat, alles verweht und verwischt wird. Auch sonst wird Realismus von Symbolik unterbrochen.
Im Mittelpunkt steht der lüsterne wie feige, einfältige wie verschlagene Dorfrichter Adam (Ernst Volker Schwarz), der gegen sich selbst ermitteln muss und sich dabei immer enger im eigenen Lügennetz verstrickt. Mit Schmeicheln und Drohen versucht er, Eve zum Schweigen zu bringen. Er frappiert nicht nur als Balkenkletterer, sondern auch als Charakterdarsteller. Hier hat er die Rolle gefunden, die er voll erfüllt. Eifersüchtig wegen Eve, versucht er den Verdacht auf Rupprecht (E. R. Ordoñez zu lenken, der sich ehrlich und energisch seiner Haut wehrt. Eve (Susanne Beyer), verstört und verunsichert ob der unangenehmen Affäre, weist das Geld, mit dem sie ihren Verlobten freikaufen könnte, von dem ihr deutlich zugetanen Gerichtsrat Walter (Roland Hartmann) zurück. Letzterer nimmt die Untersuchung immer mehr in die eigene Hand, ist oft der, der im Tumult für Ruhe und Ordnung sorgt, sich von Adam ausgiebig mit Wein traktieren lässt und schließlich den Schreiber Licht (Helmut Kleinen) kommissarisch als neuen Dorfrichter einsetzt.
Elke Hartmann gibt die weitschweifig klagende und penetrant um ihr Recht kämpfende Frau Marthe. Die Zeugin Frau Brigitte (Monika Dehler) legt dem Gericht mit viel Imponiergehabe die kostbarste Fundsache, die Perücke, vor. Alle Darsteller waren nicht nur in dieser Eigenschaft, sondern auch sängerisch und sprecherisch ausgezeichnet ihren Rollen gewachsen. Im Parlando wie in langen Silbendehnungen mit unsanglichen Intervallen auffallend sicher, hielten sie adäquate Partnerschaft zu den Musikern und deren ungewöhnlichen Aufgaben, mit denen sie weitgehend allein gelassen waren.
Dennoch hatte GMD Wolfgang Wappler als Dirigent die nicht leicht zu handhabenden Fäden fest im Griff.
Der Zerbrochene Krug heißt die bekannte Komödie von Heinrich von Kleist. 1971 hat Fritz Geißler den Stoff in einer gleichnamigen Kammeroper verarbeitet, die 1971 in Leipzig uraufgeführt wurde. In Eisenachs Alter Mälzerei, der Nebenspielstätte des Landestheaters, kam das Werk am Sonntag wieder zur Aufführung und offenbarte die bekannten Schwächen sowie seine Stärken. In konsequent gearbeiteter Aleatorik, einer Art der Improvisation nahe stehenden Beliebigkeitsmusik, fand Geißler das probate Mittel für eine Dialogoper. Szenische Erregung ließ sich aufbauen, die Herrschaft des singenden Darstellers garantieren und aus beidem spannungsgeladene Kulminationspunkte entwickeln. Die Regie hat dieses dramatische Gewoge nur nach zu zeichnen, hat wie in der Komödie den Personen unverwechselbare Charakteristik zu verleihen und die klingenden Verdichtungen und Entspannungen szenisch begreifbar zu machen. Hier aber scheint die Inszenierung ihr Ziel zu verfehlen, scheint die Originalität der Geißlerschen Kammeroper zu einem Allerweltslustspiel degradiert zu werden, in dem Symbolik wie der Sandkasten als Spielfläche, die Sucht nach Mordernität von Kostümen und Ausstattung (Hendrik Kürsten) oder nebulöses Herumstolzieren mehr bedeuten als klar gegeneinander gestellte Personen in ihrer Schlitzohrigkeit, Liebesverzweiflung und Eifersucht, ihrem bürgerlichen Stolz oder ihrem Rechtsbewusstsein. Aleatorik freilich heißt Beliebigkeit - für die elf Musiker der Landeskapelle unter Leitung von Wolfgang Wappler eine neue Art des Musizierens, insofern mit Geschick bewältigt und als Antrieb szenischer Aktionen auf der richtigen Spur. Die Beliebigkeit von Spiel und Personen ist nicht damit gemeint, und hier ließ Arila Siegert, die Regisseurin, Wünsche offen. Sie vermied, ein klares Profil der Handelnden zu zeichnen, zog sich lieber auf veräußerlichte Aktionen zurück. Die durch deklamatorische Feinheiten wie Melismatik oder den Mix aus Parlando und Kantabilität ausgefüllten Partien hätten konkreten Anhalt geben können. Von einer ausgeglichenen Ensembleleistung zu sprechen heißt hier, auf bedenkliche Nivellierung zu verweisen, aus der vereinzelt Darsteller mit Erfolg auszubrechen versuchten: zaghaft noch die jeweilige Situation nutzend Ernst Volker Schwarz (Dorfrichter Adam), beherzter seine Kontrollaufgabe angehend, bald am "dörflichen Sumpf" verzweifelnd und deshalb für kleinere "Gegenleistungen" nicht unempfänglich Roland Hartmann (Gerichtsrat Walter), und verwirrt von den Verstrickungen um ihre Liebe Susanne Beyer (Eve). Das Publikum aber feierte stürmisch alle seine Lieblinge.
Am Theater Eisenach macht sich der neue Intendant Michael W. Schlicht gegen alle existenzbedrohenden und fusionsverheißenden Zeichen der Zeit, mit der 126. (!) Spielzeit dieses Hauses daran, bei abnehmenden Ressourcen die geringer werdenden Chancen zu ergreifen und zu nutzten. So sieht man etwa die anstehende Vakanz am Pult des Orchesters als Chance für die Suche nach einem Nachwuchsdirigenten an, engagiert sich bei Bedarf einen Chor dazu (nach der Abwicklung des hauseigenen!) und besteht trotz allem auf einem ambitionierten Kunstanspruch.
Fritz Geißlers (1921–1984) über 30 Jahre alte Kammeroper Der zerbrochene Krug nach dem Lustspiel von Heinrich von Kleist gehörte zu den erfolgreicheren Versuchen, modernes Musiktheater (zumindest in der DDR) im Repertoire zu etablieren. Sie weist aber auch die Rezeptionshürden auf, die moderne, nicht durch eingängige Melodik ausgewiesene Musik eben hat. Dass es dem scheidenden GMD Wolfgang Wappler ein persönliches Anliegen war, dieses turbulente 70-minütige Werk auch deshalb auf den Spielplan zu setzen, weil er schon bei der Einstudierung der Uraufführung in Leipzig 1971 mit dabei war, merkte man dem lustvoll begleitenden »redenden« Spiel an, zu dem er seine kleine Orchesterformation animierte.
Auf eine so intime Spielstätte wie die Alte Mälzerei, die auch künftig für Experimentelles und Kleinformatiges zur Verfügung stehen soll, muss man sich einstellen. Arila Siegert, die sich vor allem in Chemnitz in den letzten Jahren mit heraus ragenden Inszenierungen auch als Opernregisseurin profilieren konnte (und eigentlich an ein Haus mindestens wie Erfurt gehören würde), ist das gelungen. Sie beherrscht das Spiel in und um den Sandkasten, um den Hendrik Kürsten die Zuschauer platziert hat. Und um und in dem sich die Protagonisten tummeln, während dieser Wahrheitsfindung um jenen Krug, für dessen Zertrümmern der Dorfrichter ja bekanntlich selbst verantwortlich ist.
Das stellt sich nach einem ziemlich stürmischen Gerichtstag denn auch heraus, nicht zuletzt, weil eine Inspektion »von oben« in Gestalt des Gerichtsrates Walter (Roland Hartmann) eintrifft. Das vermasselt dem Schlawiner Adam (mit Bauernschläue und komödiantischer Pracht: Ernst Volker Schwarz) letztlich die Absicht, seinen gescheiterten amourösen Ausflug in die Kammer der jungen Eve (Susanne Beyer) zu verschleiern und bringt den schmierigen Schreiber Licht (als wunderbar überzeichnete Beamtenseele: Helmut Kleinen) am Ende zumindest bis auf weiteres auf den begehrten Richterstuhl. Die resolute Krugbesitzerin (als die Elke Hartmann ihre Frau Marthe auftrumpfen lässt) jedenfalls zieht mit ihren Scherben vor die nächste Instanz. All das ist kurzweilig und turbulent zwar auf den metaphorischen (Bühnen-)Sand gebaut, aber bei Arila Siegert alles andere als in den (Inszenierungs-)Sand gesetztes Musiktheatervergnügen pur.
Wie der berühmteste Krug der deutschen Literaturgeschichte zu Bruch ging, das kann man sich auch in Form einer Kammeroper ins Gedächtnis rufen. Aus Heinrich von Kleists hintersinniger Komödie über jenes corpus delicti, das letztlich den Richter selbst als Übeltäter überführt, hat der sächsische Komponist Fritz Geißler (1921-1984) eine Kammeroper gemacht, die 1971 in Leipzig uraufgeführt wurde und dort immerhin zehn Jahre im Repertoire blieb. Für die siebzig Minuten vertonter Wahrheitsfindung bedarf es, neben der kleinen Orchesterbesetzung, eines Sängerensembles für sechs Haupt- und vier Nebenrollen. Stimmlich und instrumental ist der pointiert „Erzählton“ der Musik manchmal ruppig, vor allem aber beredt. Er umspielt die Kleist’schen Worte, ohne ein ambitioniertes Eigenleben gegenüber dem Text zu behaupten.
Arila Siegert nimmt das als pure Theatermusik und nutzt jeden Zentimeter des knapp bemessenen Raumes der atmosphärischen Alten Mälzerei, einer neuen Spielstätte des Theaters Eisenach für die kleine Form. Die Spielfläche ist ein großer Sandkasten mit Lehnsessel für den Richter, etwas Büromüll und gefülltem Kühlschrank. Durch die lustvoll gekonnte Personenführung erlebt man das dosiert ironische Aufplustern und ebensolche Abstürze. Und sei es auch nur vom Sesselrand in den (vielleicht ja nicht nur preußisch-märkischen) Sand und in das organisierte Chaos der Ensembleszenen.
Der Fokus freilich bleibt immer auf den einzelnen Darsteller gerichtet: auf Ernst Volker Schwarz als den etwas abgefeimten, schlitzohrigen Richter und auf Helmut Kleinen mit dem hemmungslosen Grinsen des karrieregeilen Schreibers Licht, auf Elke Hartmann als resolute Krugbesitzerin Marthe ebenso wie auf Susanne Beyer als nur am Anfang von Adam eingeschüchterter Eve; auf Edilberto Ragalado Ordoñez als ihren zu Unrecht verdächtigten Bräutigam Ruprecht und auf Roland Hartmann als Gerichtsrat Walter, dessen städtisches Outfit ihn zwar deutlich von der Dorfgesellschaft abhebt, der allerdings selbst auch ein Auge auf Eve wirft.
Das alles ist präzise gezeichnet und fügt sich unter der von Wolfgang Wappler (der schon an der Einstudierung der Uraufführung mitgearbeitet hatte) kundig entfachten kammermusikalischen Schützenhilfe zu einem vor allem unterhaltenden Lokaltermin.