Der wichtigste war mir schon die Verbindung der persönlichen Schicksale mit dem gesellschaftlichen Umfeld, der Kampf gegen die Willkür um das Menschenrecht der Freiheit und für eigene Entscheidungs-Möglichkeiten. Wir bewegen uns ja immer in verschiedenen Zeiten unter verschiedenen politischen Verhältnissen, und wir sind trotzdem wir Menschen mit unseren Empfindungen, Affekten, unseren Beziehungen. Insofern spiegelt das eine gewisse Realität. Diese Aspekte wirken ineinander. Figaro beginnt seine Ränke gegen den Grafen im Bewusstsein, dass er Verbündete hat, dass die Freunde um ihn herum ihm helfen werden. Er ist nicht allein; dieser solidarische Aspekt ist für Figaro wichtig. Dass die beiden Frauen, Susanna und Rosina, sich verbünden über die Eifersucht hinaus, ist eine menschliche Qualität, die die beiden Frauen auszeichnet und über die Männer und ihre Ränkespiele hinaushebt. Es hat fast schon utopischen Charakter. Die Beziehung dieser beiden Frauen ist eine, die über diesen Ebenen steht.
Das ist die Kunst – ich habe versucht, dieses Zufällige zu nutzen, was ja auch eine Denkfigur bei Beaumarchais ist: dass wir eigentlich im Leben immer improvisieren und dass wir nicht wissen, was wirklich in der nächsten Stunde passiert. Die Leichtigkeit des Seins in diesem Stück zeigt diesen Mikrokosmos, in dem wir uns immer bewegen, hier konzentriert in dem gewaltigen Geschehen eines Tages dieser vorrevolutionären Zeit. Bestimmte Dinge, die wir vorhaben, evozieren bestimmte Reaktionen, und dadurch bestimmen wir unser Schicksal zu gewissen Teilen mit. Wenn Susanna und die Gräfin sich nicht absprächen, würde die Geschichte ganz anders laufen. Und dass dieses Adels- und das Diener-Paar eigentlich gleichwertig behandelt werden, ist in dieser Zeit wahrscheinlich sicher etwas Umstürzlerisches. Der Slogan von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ spielt da schon mit.
Das spricht natürlich für die Fehlbarkeit von uns Menschen und auch von der Perversion dieses feudalen Systems, wo jemand sich das Recht anmaßt, über Leib und Leben von anderen willkürlich zu bestimmen. Und das ist, glaube ich, die Message, die Hauptlinie in dem „Figaro“, dass genau diese Willkür infrage gestellt wird und mit Witz, Hingabe und existenziellem Einsatz aller Kräfte bekämpft wird.
…Ja, von dieser Art von Selbstbefreiung: dass jemand seine Empfindungen artikuliert. Insofern reicht diese Figur schon weiter hinein in die Romantik, hat aber auch barocke Züge als eine Art Amor. Cherubino ist auch eine Art Don Giovanni, ein junger Graf, eine sehr schillernde Persönlichkeit. Er ist jemand, der sich Rechte anmaßt, ziemlich ungestüm vorgeht und seine Emotionen höher schätzt als das Recht von jemand anderem, der bzw. die sagt, lass mich in Ruhe, ich will nicht, dass du mich jetzt küsst. Und er tut es doch.
Das finde ich auch. Sie gibt eine ganz extra Linie im Stück. Mozart und Da Ponte führen die Linie der Gräfin fast neben dem Stück her. Sie ist außerhalb.
Das ist eine große Schwierigkeit. Ich glaube nicht, dass der Graf durch das Erlebnis dieses Tags von diesem „Recht“ auf die erste Nacht mit jeder Braut und seinen Gewohnheiten ablässt. Ich nehme an, und so haben wir das auch inszeniert, dass ein toller Tag den nächsten ablösen wird. Und es wird immer doller werden.
Zum einen leben wir nicht mehr in Zeiten der Aristokratie. Und der zweite Punkt ist, dass das Stück sehr von dem Intrigenspiel, diesem Lebens-Theater, dem Theater auf dem Theater lebt. Und um das verständlich zu machen, muss man meiner Meinung nach sehr an der Handlung dran bleiben. Man kann das ganz schwer verfremden. Aber Eifersucht und die ganzen Affekte und dass man sich gegen Willkür wehrt, das ist wohl ein ewiges Thema. Insofern versuchen wir die Zeiten zu verweben, sowohl die Entstehungszeit wie auch die heutige Zeit.
Ich habe das nicht gemacht. Ich habe die Rezitative eigentlich erhalten, weil ich glaube, dass das Stück, ein Lustspiel mit und in Musik zu gleichen Teilen Schauspiel und Oper ist. Und die Rezitative braucht man, um das wirklich zu verstehen, damit das nicht oberflächlich wird und nur von Arie zu Arie springt. Das wollten die Autoren auch nicht. Ich habe die Rokoko-Linie im Stück, das Schäferspiel, also die Beziehung Barbarina-Cherubino, etwas gekürzt und auch die Arien von Marcelline und Basilio. Vor allem im vierten Akt.
Genau so, und das Ensemble hat sehr gut mitgearbeitet. Es war eine harmonische und wirklich gute Zusammenarbeit. Es ist bis auf die Endproben auch niemand krank geworden. Wir konnten so vorwärts gehen, dass wir das ganze Material dann doch in vier Wochen hatten.