Idomeneo: die Geister die er rief …
Im Tunnel der selbstgeschaffenen Krise, verwirrt im Beziehungsgeflecht,
gestrandet am eigenen Ich, kriegsgeschädigt.
Ein Opfer für die gute Sache. Aber erstens kommt es anders und zweitens
als man denkt.
Man kann über den Sohn nicht sprechen.
Ausharren, koste es, was es wolle. Belagerungszustand. Die Vergangenheit
als Königsmantel hinter sich herziehend, neue Ufer suchen.
Ilia.
Als Mann fühlt man sich alt neben einer so jungen Frau.
Ertrinken im Whisky wäre das Beste… Aber diese Gestalten, diese
gestrandeten, widerwärtigen, hohlen Phrasendrescher, lachen die etwa?
Abschaffen, alles weg, aus dem Weg, ich brauche Platz!
Was ist denn so schlimm, wenn er woanders glücklich wird? Nur schnell
muss es gehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Elektra soll endlich
zufrieden sein. Was Besseres kriegt sie nicht.
Immer muss bei mir alles schief gehen.
Du, du … bist ungerecht! Warum ich?
Man kann ja nicht an alles denken, es ist zu viel. An den Ketten zerren.
Krieg führen. Angriff und Verteidigung und der ganze Dreck immer wieder!
Nicht nachgeben, nicht nachfragen – aber was sein muss, muss sein, auch
wenn es einem nicht passt. Das wäre ja noch schöner, wenn sich jeder
sein Schicksal aussuchen könnte. Ein Mann ein Wort. Da geht nichts
drüber. Da muss man durch …
Warum kann ich nicht?
Wie konditioniert man sich zu einem Mord? Der Eine spannt die Muskeln
und der Andere sagt: Los.
Wir sind ja schließlich abhängig von unseren Geldgebern.
Ein neues Ufer.
Ilia.
Wieso ist alles anders?
An den Strand waten, noch einmal von vorn anfangen. Warum nicht?
Ich bin ja selbst der Erste, dem ich begegnet bin! Warum habe ich bis
jetzt nicht daran gedacht, dass du es so gemeint hast?
Zu Hause.
Du bist aber wirklich spitzfindig, kannst du es nicht ein bissel
direkter sagen?
Idamante, der Sohn, will leben, Zukunft atmen. Ich soll Platz machen.
Bitte gerne, nichts leichter als das.
Was ist Glück?
Eigentlich ist es ganz leicht. Nichts weiter als da sein.
Hörst du die Sonne, siehst du den Wind?
Fühlst du den Hauch?
Die Verantwortlichkeit des Menschen für seine eigenen Gedanken, seine Taten, für sich selbst, für die Leute, die ihn umgeben. Bei einem König wie Idomeneo, die Verantwortlichkeit für sein ganzes Volk und sein Handeln als Staatsmann.
Der Krieg, den wir uns selber machen mit uns selbst und den Leuten, die uns umgeben, der Krieg zwischen den Vätern und den Söhnen und den Müttern und den Kindern, zwischen Jung und Alt – das ist ein Konflikt, den ich versuche an der Haut der Figuren abzuhandeln. Das Orchester als innerer Seelenraum, als „Meer der Gefühle“ ist der Ort, in den sich Ilja flüchtet, sich zurückzieht. Ich wollte das Stück nicht als „Theater“ mit theatralischer Aktion beginnen, sondern es aus der „Musikwerkstatt“ heraus entwickeln. Eine Metapher für die innere Arbeit und das Klingen aller Seiten in uns. Ich wollte die Empfindsamkeit aus dem Zuhören, nicht aus dem Zuschauen wecken. Es ist auch diesem bestimmten Orchester in Heidelberg und seinem Dirigenten Cornelius Meister zu verdanken, dass ich diese Idee verfolge. Nach den beiden Mozart-Opern dort, „Giovanni“ und „Figaro“ – den „Figaro“ habe ich gesehen –, ist es was Besonderes, dass man mal diesen Akzent setzt.
Die Väter opfern die Söhne für ihr eignes Fortkommen, für ihre Zukunft, für ihre Macht, zum Erhalt alter Machtstrukturen gegenüber neuen, bei Idamante sehr sozialen Formen. Ich finde die Figur der Ilja in diesem Zusammenhang interessant. Sie verhindert das Opfer dieser beiden Männer: sowohl von Idamante, der sich opfern will, als auch von Idomeneo, der glaubt opfern zu müssen, um den Staat zu retten – was natürlich eine Ausrede ist. Die Ilja wirft sich dazwischen. Sie hat ihre eigene Familie verloren. Sie ist in einem fremden Land und eigentlich von dem Gedanken beherrscht, dass man seinen Feind nicht lieben darf und dass sie dieses Opfer nicht zu lieben bringen muss. Aber sie überwindet das eigene Verbot. Sie liebt Idamante, sie steht dazu. Es gibt ja dieses wunderbare Liebesduett, was auch sehr allegretto-heiter mündet in einer Art Unbeschwertheit. Ilja bringt Idomeneo zum Umdenken. Iljas Gewaltlosigkeit nimmt der Brutalität des Opfers die Kraft. Durch ihre Gewaltlosigkeit kann Ilja Idomeneo, der sie ja auch liebt, umstimmen. Ilja ist die Aktive in der Gewaltlosigkeit. Dass diese Frau über die Gewaltlosigkeit die Gewalt ändert, die Kraft der Gewalt umpolt, aufhebt, transformiert, das finde ich so toll.
Der Chor zementiert in diesem großartigen „O voto tremendo“ die Grausamkeit solcher Entscheidungen in einer ganz zentralen, großen Form. Dieser erschütternd komponierte Chor soll uns, die wir das hören, begreiflich machen, was das bedeutet auch für die Menschen rund herum, wenn so etwas geschieht: dass alles durcheinander geschleudert wird und bildlich gesprochen kein Stein auf dem anderen bleibt – was ja Krieg bedeutet.
Idomeneo tut sich schwer mit dem Opfer. Er versucht mit der Idee seines Vertrauten Arbace, den Sohn mit Elektra übers Meer nach Mykene zu schicken, dem Urteilsspruch, diesem neuen Krieg, zu entgehen. Dadurch bekäme er ja alles, was er sich wünscht: Er bekäme die Macht, er bekäme Ilia. Elektra hat seinen Sohn, seinen Nebenbuhler um Ilia, schon in Beschlag genommen. Und er versucht nun, wenn Idamante weg ist aus den Augen, aus dem Sinn, alles ins Positive zu wenden. Aber er wendet es nicht. Und dass er nichts erreicht, ist auch eine Etappe hin zu der Erkenntnis, dass er entweder den Sohn töten muss, oder es passiert irgendetwas anderes. Das Stück mündet in diese Erkenntnis: er will den Sohn nicht töten, und seine ganze Natur sträubt sich dagegen, aber er muss dieses Opfer bringen, zumal Idamante es ihm leicht macht, indem er ihm das Messer gibt und sagt: tu’s doch. Der menschliche große Konflikt, um den es in dem Stück geht und auf das es zusteuert, ist dies Opfer.
Die Elektra soll diese Ausweglosigkeit des Rachegedankens zeigen: dass man immer wieder ein neues Opfer fordert für eine Gewalttat – wie wir das erleben mit den Palästinensern und den Israeli –, dass das endlos so weitergeht mit immer wieder neuen Opfern. Die Elektra zeigt die Sinnlosigkeit dieser sich selbst und anderen zugefügten Kriegserklärungen. Sie muss das ertragen und bringt es bis zu einem übertriebenen Höhepunkt, nachdem das Opfer nicht vollbracht ist und Idomeneo zu der Erkenntnis kommt, dass er selbst den Platz räumen muss. Sie verfällt dann in so eine sinnlose Wüterei; das ist für mich ein interessanter Punkt. Ich lasse sie dann zurück kommen zu der Hochzeit, und Elektra übergibt Ilia ihr Hochzeitskleid.
Was ich eingangs sagte: dass du allein die Verantwortung für deine eigenen Taten hast, und dass die Taten mit dir selbst in Einklang sein müssen. Dass du verantwortlich bist als Mensch unter Menschen, dass du menschlich handelst – dass man ein Mensch bleiben muss in jeder Situation.