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Der Rache und der Liebe zerstörerische Kraft

Stefan Koch in: Mannheimer Morgen, 9.Nov.1999

...Beide Stücke schlummerten in den Archiven, vor wenigen Jahren gab es eine konzertante Aufführung der Dido in Schwetzingen, aber jetzt war es dem Nationaltheater und der kooperierenden Mannheimer Musikhochschule vorbehalten, sowohl Cannabichs Meldoram als auch Holzbauers Werk im kurfürstlichen Rokokotheater szenisch wieder zu beleben.

Es hat sich gelohnt. Denn beide Werke offenbaren den Rang beider Protagonisten der Mannheimer Schule. Vor allem Christian Cannabichs Melodram offenbart ein ingeniöses Einfühlungsvermögen des Komponisten in die inneren Befindlichkeiten der Elektra-Figur...

Arila Siegert hat beide Stücke inszeniert. Sie entstammt als Tänzerin und Choreografin der Palucca-Schule, und so ergibt sich für sie der theatralische Ausdruck im Ineinanderwirken von Stimme, Gestik und Körperlichkeit. Die Bühne (Johannes Conen) ist bis auf ein hinteres Portal leer, aber in ihrem Boden wühlt Elektra nach ihrem Inneren...

Es sind eindringliche Bilder, in denen Arila Siegert die Figuren mit großer choreografischer Expressivität führt. Und es ist bewundernswert, mit welcher Anheimgabe die Solisten diesem Konzept folgen. Allen voran Nicola Beller Carbone als Dido, die beherrschende Figur in Ignaz Holzbauers Werk, dessen vehementer dramatischer Impetus und emotionsgeladene Sinnlichkeit sich bisweilen Mozart verwandt zeigt. Nicola Beller Carbone zeichnet mit ihrem weit ausgreifenden, sehr klangschönen lyrischen Sopran eine beeindruckende Tragödin antiken Zuschnitts, in Gestalt und Ausstrahlung von wirklich großem Format...

Cannabichs Elektra ist für das Orchester schwer. Die oft nur wenigen Takte Musik zwischen den Worten erfordern ein Höchstmaß an Konzentration, die beim Orchester der Musikhochschule unter Frieder Bernius nicht immer gewährleistet schien. Besser dann die Dido, dessen vehementen Sturm-und-Drang-Ton Bernius am Pult famos traf. Bedenkt man, dass die alte Musik an der Mannheimer Hochschule bedauerlicherweise nicht systematisch gepflegt wird, lässt sich ahnen, was für eine Arbeit mit dem Orchester dahinter steckt...

Großer Beifall im voll besetzten Haus und freudiges Erstaunen darüber, was diese beiden zweifellos wertvollen Stücke aus Mannheims großer Vergangenheit bieten.


Dreiklänge umspielen die Zauberinsel

Julia Spinola in  FAZ, 10.Nov.1999

...Beide Stücke drehen sich um den inneren Monolog einer Frau, die in einer prekären Entscheidungssituation steht, nah am Wahnsinn, empfänglich für Sinnestäuschungen und Visionen aller Art, bereit, sich und andere ins Verderben zu stürzen. Cannabichs Melodram ... setzt die neuen Mannheimer Ausdrucksmittel in plastischer Wechselwirkung mit dem Bühnengeschehen ein. Letztlich wird indes tatsächlich eine Manier daraus ... weil die Kette aus aneinander gereihten Effeffekten ... immer kleingliedriger und löchriger wird. Holzbauer dagegen gelingt der überzeugende dramatische Bogen des Ganzen... Arila Siegerts Inszenierung und Johannes Conens Ausstattung scheinen einen Gegenpol zur expressiven Fülle beider Werke gesucht zu haben...


Das Melodram: Begegnung mit einer fossilen Gattung

Stephan Hoffmann in: Saarbrücker Zeitung, 11.Nov.1999 und Radio: NDR/SFB/ORB-Musikforum, SWR-Musikmagazin, DLF-Musikjournal

Manchmal wird auch gesungen in Christian Cannabichs Elektra, allerdings nur selten und wenn, dann vom Chor. Die Hauptperson wird von einer Schauspielerin verkörpert - der ausgezeichneten Martina Roth - und ist folglich nur sprechend zu hören...

Auch Ignaz Holzbauers Opern-Einakter Tod der Dido ist eine Ausgrabung, auch diese Oper entstand für das Mannheimer Nationaltheater. Aber es ist eben eine handelsübliche Oper, und von denen haben wir schon einige gehört, darunter auch bessere. Der Name Mozart, der seine Opern zur selben Zeit schrieb, fällt einem ein, und natürlich ist der Abstand beträchtlich. Immerhin ist Holzbauer einer der ganz wenigen Komponisten, den Mozart für sein "Feuer" und seinen "Geist" ausdrücklich lobte.

Bleibt noch auf die wirklich eindrucksvolle Leistung der Regisseurin Arila Siegert hinzuweisen, die mit minimalem technischen Aufwand ein Höchstmaß an Dichte und Eindringlichkeit beider Stücke erreichte. Und auf die sängerisch überragende Nicola Beller Carbone, die die Partie der Dido mit wunderbarer Weichheit und stimmlicher Ausgewogenheit ausstattete.

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Aus Mannheims großen Tagen

Horst Kögler in Stuttgarter Zeitung , 9.Dez.1999

...Cannabichs Elektra scheint als innerer Monolog der Atridentochter auf die damaligen Zeitgenossen eine ähnlich verstörende Wirkung ausgeübt zu haben wie auf uns heutige ein Theaterstück von Heiner Müller oder Christa Wolf. Elektra ... kann sich zu dem Racheakt nicht entschließen... Sie verkraftet die Tat so wenig wie ihr Bruder Orest... Und beide müssen dann erkennen, dass Rache nur neues Unrecht zeugt. Als Melodram erfordert die Hauptrolle eine Schauspielerin wie Martina Roth, die mit der verklärten Stimme einer Hellseherin die tragischen Verstrickungen ihrer Familie rekapituliert - in der schlichten und strengen Inszenierung und Choreografie von Arila Siegert, accompagniert von visionären Erscheinungen auf einer Bühne, die von Johannes Conen als Blutteppich und Gräberfeld hergerichtet ist. Die Musik ... lässt durchaus aufhorchen. Düster und tragisch gestimmt fesselt sie durch ihren permanenten Erregungszustand, und ihre Kurzatmigkeit entspricht exakt dem dramatischen Gestus der Gedächtnisfetzen... Stärker der Tradition verhaftet gibt sich Ignaz Holzbauers Singspiel über den Tod der Dido, das doch eine richtig durchkomponierte Oper ... ist... Auch Holzbauer kann sich nicht genug tun, die berühmten Mannheimer Klarinetten gebührend brillieren zu lassen... Von seinen drei Hauptsängern verlangt er gleichwohl eine gediegene Kehlkopfartistik, eine Aufgabe, der Nicola Beller Carbone (Didone), Bettina Eismann-Koloseus (Selene) und Thomas Jesatko (Jarbas) mit viel Effet gerecht werden...


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