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Nach dem Krieg
ist vor dem Krieg

Zum Freischütz von
Carl Maria von Weber

Premiere: Chemnitz, 25.Januar 2003
Musik.Ltg.: Niksa Bareza
Bühne: Hans Dieter Schaal,
Kostüme: Marie-Luise Strandt

Die Jäger

 

Lautstark dieses Schweigen. Kein Wort war zu lesen in der wichtigsten Musikzeitung damals über diese Uraufführung. Spaltenweise verbreitete sich die Allgemeine Musikalische Zeitung zwar über Gasparo Spontinis kalt wie eine pfeffernde Kanonensalve auftrumpfende Prunkoper Olympie. Die war ein paar Tage zuvor im Berliner Königlichen Opernhaus uraufgeführt worden; Elefanten trabten als exotische Attraktion über die Bühne zu des Königs Freude. Der Freischütz trieb sich herum nur in heimischer Fauna. Als Ort der Uraufführung vorgesehen nur das eben nach einem Brand (1817) wieder eröffnete Schauspielhaus. Was war das auch schon: eine deutsche Oper? Ein besseres Singspiel? Dabei räumten die AMZ-Redakteure den Feierlichkeiten zur Wiedereröffnung des Schauspielhauses am 26.Mai 1821 mit Goethes Iphigenie und einem üppigen Konzertprogramm durchaus gebührend Platz ein. Nur die wichtigste Novität im neuen Haus blieb unerwähnt. Warum? Dabei war die vom weitsichtigen Intendanten, Graf von Brühl, punktgenau terminiert auf den Gedenk-Tag 18.Juni von "Belle Alliance", dem Siegestag der vereinigten Volks-Truppen über den Werwolf Napoleon. Und der Komponist Weber hatte mit seinen Freiheitschören seine Schulaufgaben gemacht. Lauerte doch Konterbande in diesem schaurig-düsteren Waldstück? In der Zeitschrift gestreift wird immerhin nach dem Sensations-Erfolg in Berlin die Wiener Premiere ein halbes Jahr später. Von "sehnsüchtigem Verlangen" spricht der Korrespondent da, endlich mal wieder was "recht Gediegenes" zu hören; die Sinne drohten ja schon abzustumpfen durch das sonst in den Musentempeln üblicherweise verabreichte "Naschwerk".

Kugel-Roulett

In der Erinnerung der Emigration schmeckt jeder deutsche Rehbraten, als wäre er vom Freischütz erlegt worden", notierte im amerikanischen Exil Theodor Wiesengrund Adorno sinnenfroh und Heimat verbunden in seinen Minima Moralia. Aber, wusste er auch: "Mit größerem Recht als die Meistersinger gilt der Freischütz als deutsche Nationaloper". Was beide Werke verbindet? Eine Frau als Preis eines Wettbewerbs. Das eine Mal muss man gut schießen, das andere Mal gut singen, um sie zu gewinnen. Nationaloper? Ein Musen-Utopia mit Paradies und Parnass wird beschworen vom Ritter Stolzing in den Meistersingern, fest verankert in der Tradition und diese erneuernd.

Max sinnt

Der Freischütz bündelt wie kaum ein anderes Werk die Strömungen seiner Zeit. Es sind Gefühle der Verwirbelungen durch die Französische Revolution, der Verwüstungen durch die Napoleonischen Heere und die Befreiungskriege. Eine neu aufsteigende intellektuelle Mittelschicht, ja ein ganzes, zutiefst verunsichertes Volk suchte nach der eigenen Identität, dem "Charakteristischen" in sich selbst. Märchen, Sagen, Mythenwelt sind ihr Fundus. Aus diesem schöpft auch der zuerst als Die Jägersbraut von dem Advokaten, Hobbypoeten und geistigen Revolutions-Touristen Friedrich Kind gedichtete Freischütz. Johann August Apels Volkssage, auf die der mittlerweile Dresdner Publizist sich stützte, basierte auf einem gerichtsverbürgten Fall. Weber seinerseits suchte nach einer Musiksprache, die frisch und "volkstümlich" sein sollte im besten Sinn.

Das Grauen der Wolfsschlucht Hinunter in die Wolfsschlucht

Als Konzession an die gewandelten Publikums-Bedürfnisse war an Dresdens Hofoper 1816 ein Deutsches Department eingerichtet worden, Stachel im Fleisch der bei Hof beliebten Italienischen Oper. Weber als ihr Direktor sichtet, was tauglich wäre für diesen neuen Zweig des Musiktheaters. Die für sein Experiment brauchbarsten Modelle findet er in der französischen opéra comique, im Vaudeville, im Singspiel. Mit unendlicher Geduld versucht er, Méhul, Grétry und Cherubini zu erschließen für sein neues Theater. Daran orientiert er sich auch für seinen Freischütz. Manche Melodien, wie zumal der "Jungfernkranz", sind gespeist aus volkstümlichen Quellen. Sie werden nun selbst, wie auch der "Jägerchor", nationales Liedgut - populär wie zuvor vielleicht nur Arien aus der Zauberflöte oder dem Figaro. Kein Werk wurde so oft karikiert und so viel geplündert wie der Freischütz. Richard Wagner lässt sogar seine Walküren genüsslich daran aasen.

Jungfrauen

Das beherrschende Motiv des Freischütz indes heißt: Angst, Prüfungs-, Versagens-, Überlebensangst – Angst, die den Kandidaten dieses unmenschlichen Spiels (ohne Meisterschuss keine Braut, kein Försterjob) auch auf krumme Bahnen treibt. Eigentlich ist Max ja Schreiber. Die Jägerei lernt dieser Intelligenzler, um das Mädchen Agathe zu erringen. Und Agathe kriegt er nur als Mitgift gleichsam der fürstlichen Försterei. Ahnungslos ist Max, als sein Jagdkumpan und früherer Rivale um Agathes Hand "Freikugeln" offeriert. Kaspar war im Krieg und hat deswegen wohl Agathe verloren. Ist sein "Freikugel"-Angebot ein netter Zug oder eine Falle? Vielleicht hat Max von ballistischer "Dope" ja wirklich nie was gehört. Aber so machen sie’s doch alle, suggeriert ihm Kaspar - und bis heute im Sport: Die Johnsons, Krabbes, Ullrichs, Baumanns, Pippigs; und vielleicht auch der Ur-Kuno einst, der um des lockenden Försterjobs willen den Wilddieb von dem Rücken eines Hirschen freigeschossen hatte, um ihn vor der Todesstrafe zu retten. Den "Engeln" anbefohlen habe Kuno den Schuss und ihn so sekundengenau in die Zielkoordinaten gelenkt, heißt es in der Legende. Nun muss dieser goldene Schuss Mal um Mal wiederholt werden. Allerdings die jeweilige Aufgabe stellt der jeweilige Fürst. Und so hat die Willkür frei Bahn. Passt dem jeweiligen Ottokar nun der jeweilige Max oder nicht? Es ist nicht fair! Max ist eigentlich schon mittendrin in "Teufels" Küche mit Agathe und dieser ganzen Beziehungskiste. Der letzte Schritt ganz tief hinunter in die "Wolfsschlucht" ist nur eine Handbreit - oder eine Mefisto-Hundelänge - daneben. Aber vielleicht muss einer ja durch ein solch reinigendes Purgatorium, um aufzusteigen ins Paradies?

Frida Kahlo: Little Deer (1946) Max plagt die Erinnerung

Und Agathe, die Jägersbraut? Hochsensibel fährt sie ihre Hirschgeweih-Antennen aus. Irgendetwas stimmt nicht mit ihrem Max. Und da mag die etwas schlichter gestrickte Verwandte Ännchen mit noch so aberwitzigen Histörchen sie belustigen wollen. Sie ahnt, was los ist. Aber anders als Max, der seine Versagens- und Potenzängste sich nicht eingestehen will, sucht sie das Gespräch, sucht Hilfe bei einem "Einsiedler". Das waren die Gurus, die Psychologen jener Tage - Menschen, die tief in den Wäldern, abseits der Zivilisation oder in Höhlen unter der Erde wohnten, wohin man pilgerte, um die Weisheit der Welt zu schöpfen. Regelmäßig besucht Agathe ihn, empfängt nicht nur seinen Rat, seine Warnungen. Das Verhältnis beider scheint tief-religiös-erotisch. Und Agathe ist - wie Weber sie musikalisch zeichnet in weit geschwungenen Kantilenen - eine moderne, eine sich emanzipierende und zugleich verinnerlichte Frau. Der Einsiedler sieht Max’ Schwäche, weiß, dass er Einflüsterungen erliegt. Und des Eremiten Konterpart aber auch potentieller Mitaktionär in dieser Doppel-Ich-AG "Übersinnliches", Samiel, wirbt um Gunst allüberall. Mit tödlicher Sicherheit findet dieser Mefisto die Falschspieler heraus, führt sie aufs Glatteis. Der Einsiedler warnt, will Agathe durch erhöhte Wachsamkeit schützen. Und doch "passiert's". Der Schuss fällt - und trifft den Richtigen, Kaspar. Doch, weiß der Eremit den Fürsten zu becircen, diese Art von Prüfungen sind nicht mehr zeitgemäß. Die Braut als Trophäe in einem animalischen Balzkampf - archaisch. Das gehört auf den Müll der Geschichte in einer mehr und mehr rationalisierten Welt! Der Fürst muss abgeben von seiner Macht. Eine unheilige Allianz von Thron und Altar türmt sich auf am Horizont. Glück für Max? Jedenfalls muss er nicht ins Gefängnis oder ins Exil.

Brautschmuck

Aber was wird aus dem Paar? Stolzing, hätte er durch den Trick mit Sachs den Preis nicht gewonnen, er wäre freiwillig ausgewandert samt seiner Eva. Bei Max reicht die Mobilitätsgarantie nicht so weit. Um so mehr stellt sich die Frage: Werden sie nach dem Prüfungs-Jahr, der sozusagen Bewährung in der Produktion, noch zusammen sein? Werden sie’s überhaupt noch wollen? Macht nicht diese Treue-Zusatz-Prüfung das ganze Verfahren noch absurder, oder geht’s Agathe gar wie Jenufa, dass sie gar nicht mehr "rein" und allein ist und was Drittes dann "entsorgt" werden muss? Und der "Jäger"-Job für Max – ist der wirklich so erstrebenswert? Was hieß es denn, im Biedermeier sich einzurichten, warten auf kommende Zeiten, warten, dass das, was in Deutschland nicht stattfand, aber was der Kapellmeister Weber bei seiner musikalischen "Tour de France" auf Umwegen gleichsam herüberholen und überholen wollte, doch irgendwie noch kommt? Musste nicht auch ein Schubert vergebens anrasen gegen diese Metternich-Wand aus Stumpf- und Biedersinn in seinen Singspielen und Sinfonien? Was bleibt vom Fortschritts-Potential des Freischütz? Stolzing darf schon singen, Max muss noch schießen für die Braut. Aber die Frau als Handelsobjekt ist immer noch up to date. Das Licht der Aufklärung funzelt in der Hölle der Wolfsschlucht matt. Dabei ist der Luzifer, der dort sein Hauptquartier hat, ja ein "Lichtträger". Wozu war der Geist der Aufklärung nicht alles gut: Zu den mörderischsten Bestialitäten, die Menschen ersannen gegen Menschen. Bis hin zu Versuchen am lebenden Körper mit Bakterien, Milzbrand, mit Menschen als marutas, als "Holzklötzen" in der Mandschurei (1931), oder als lebenden und auch todgeweihten Geiseln wie im Moskauer Musical-Theater Nord-Ost und gestiegert in Beslan (Nordossetien), Sept. 2004. Und mittlerweile gibt’s Menschenfleisch ja im Internet.

Der Boese (Kaspar) faellt vom Stuhl Jägerchor 

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Der Glaubens-Krieg, "nach" dem das Stück hier spielt, heißt der "Dreißigjährige". Heute heißen die Kriegsschauplätze zum Beispiel Tschetschenien, Afghanistan, Kosovo, Djerba, Bali und immer und ewig (?) Palästina. Blickt man auf die Attentate, Terroranschläge seit dem "Schwarzen September", der RAF und zumal seit Ground-Zero-Tag darf man zu Recht sprechen von einer "Globalisierung der Angst". Im 30-Jährigen Krieg jedenfalls ging’s auch schon mal wie bei den Kreuzfahrern um die reine Lehre einer Religion. Äußerlich wenigstens. Und eigentlich? Fast immer um (wirtschaftliche) Macht, heute Öl. Und immer gibt’s dann ja noch auch die Über-Mächtigen, die Marktschreier in Sachen Über-Sinnliches. Ihre Handlanger finden sie überall und hetzen sie wie Lemminge aufeinander los. Denn immer finden sich doch Leute, die ihren Messias, ihren Meister erkennen, indem sie sich selbst kastrieren, sei es um kleiner Vorteile willen, sei es weil sie gar nicht anders können: Bis in terroristische Vereinigungen hinein, bis heute. Weber und Kind glaubten an die Aufklärung, ihre Kraft. Max und Agathe sind ein im Sinne der Zauberflöte "hohes Paar", wenn auch der mittleren, bürgerlichen Kategorie und auf Bewährung. Sie sollten ihre Chance bekommen, wenn auch gegen Widerstände. Darum dieser merkwürdige, den Zeitgeist konterkarierende Schluss. Er ist ein nicht nur der Zensur geschuldetes Gebot. Apel, der die Geschichte aus böhmischen Gerichtsakten des frühen 18.Jahrhunderts filterte in seinem Gespensterbuch (1810), war, wenn auch aus anderen Motiven, ein gleichwohl hellsichtig moderner Schriftsteller. Er wollte das Gruselstück, er glaubte nicht an die Aufklärung. Bei ihm schließt das Ganze nicht "freudig".

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Collage mit "Thueringische Landschaft" (Hugo Gugg) und abstuerzender Stoesser

Sehnsüchte

Gespräch mit Arila Siegert

Die Agathe wird oft als naives Dummchen gesehen, die blöde auf den Max wartet. Andererseits hat Weber ja doch Frauenfiguren geschaffen wie Euryanthe und Rezia, die ins Heldische tendieren, Wagner vorbereiten. Gehört die Agathe da mit dazu?

Da klafft ein Widerspruch. Musikalisch steuert Agathe fast visionär in die Zukunft. Musikalisch ist sie eine in sich geschlossene, nach Erkenntnis strebende Frau. Kind in seinem Libretto zeichnet sie dagegen als eine, die sich kaum einen Kopf macht. Ich entwickle die Figur aus diesem Widerspruch. Agathe fängt an, sich zu ent-puppen, aufzublühen. Sie ist eine stille Frau. Sie bildet sich ihre Meinungen nicht über Klatsch mit anderen. Sie sondert sich ab, geht zum Eremiten, berät sich mit einem weisen Mann. An Ännchen, die ihr zur Seite gestellt ist, wird der Unterschied klar. Ännchen ist eine etwas durchschnittliche Kleinbürgerin, die aber kess versucht, ihre Wünsche durchzusetzen, auch ihre Ambitionen auf Max. Sie spielt ihre Reize aus, versucht sich bei Agathe beliebt zu machen. Das Stück braucht dies etwas aufschäumende, lustige Naturell von Ännchen, um den Kontrast zu Agathe deutlich zu machen, die genau das nicht ist.

Agathe ist keine Leonore, sie vollbringt keine Heldentaten.

Sie ist noch keine Kämpferin, aber sie hat die Substanz dazu. Sie beschäftigt sich erstmal nur mit sich, mit ihren Gedanken und Gefühlen, philosophiert über das Leben und die Liebe, und, was die Musik ja signalisiert, sie versucht den Weg so zu sich selbst zu finden und zu weiten in eine neue Dimension. Und das verbindet sie durchaus mit berühmten Frauen der Zeit damals, zumal in den Berliner Salons. Aber sie ist tatenlos, fast willfährig in das System eingefügt, in dem sie leben muss. Sie wird vielleicht in ihrem nächsten Leben dagegen aufstehen. Wir wissen ja auch nicht am Ende des Stücks, wenn sie nicht heiraten dürfen, was im nächsten Jahr passiert. Vielleicht traut sie sich dann, die Verbindung zu lösen oder gegen die Verhältnisse, in denen sie lebt, zu revoltieren. Auch der Eremit, mit dem sie sich austauscht, arbeitet an einer sanften Revolution. Er zwingt den Fürsten zu einem Machtverzicht. In dem Kielwasser ist Agathe auch.

Welche Rolle spielt Max in dieser Beziehung?

Ich gehe davon aus,  dass Agathe den Max liebt. Sie hat auch mütterliche Gefühle zu dem gepeinigten und in diesen Verhältnissen unglücklichen Mann. Seine Ehrlichkeit und sein ungetrübtes Wesen zieht sie an, und das passt auch zu ihr: Dass er nicht raffiniert ist, dass er nicht mitspielt in der "Liga". Er ist auch ein Einzelner, Suchender. Er hat es insofern schwerer als Agathe, weil er was tun muss, um an die Frau und an das Amt ran zu kommen. Aber er will das eigentlich gar nicht. Er ist kein Ehrgeizling. Er ist in sich gekehrt, nicht eigentlich in der Lage, Prüfungen zu bestehen, ein bisschen lebensuntüchtig. Er ist ein künstlerischer Mensch, er denkt und lebt in anderen Realitäten. Und das verbindet beide.

Wie weit macht er sich doch abhängig von der "Liga", von Samiel also, über den Kaspar?

Er ist nicht in das System eingebunden, er funktioniert so nicht, und das weiß er. Es gibt ja Menschen, insbesondere kreative, die kann man nicht abrichten. Diese Unsicherheit, dieses gestörte Selbstwertgefühl bringt ihn dazu, sich mit diesen dunklen Mächten einzulassen. Er bewährt sich nicht als Mann, ist ein Wesen mit fast weiblichen Zügen, hochgradig empfindsam, gestört so sehr, dass, wenn er eine Leistung bringen muss, das nicht schafft. Er ist eher ein Anti-Held, dadurch auch besonders liebenswert. Die Abhängigkeit entsteht, weil er Agathe liebt und sie auch heiraten möchte. Und er kann die Aufgaben nicht schaffen in der Konstellation auch mit den hämischen Leuten rundum. Als Intellektueller hat er sowieso keinen guten Stand, er kommt in der kleinbürgerlichen Hackordnung schnell unter die Räder. In dem Jagdzauber will er die Kraft und den Mut kriegen, diese Prüfung doch zu bestehen und Agathe zu bekommen.

Sind die Figuren dann doch eher spezifische des frühen 19.Jahrhunderts?

Ich finde, dass sie auch heutige Züge haben. Sie tragen zwar andere Kleider, aber die Affekte, die Unsicherheiten, die Konstellationen sind die gleichen. Max als der typische Anti-Held ist ein unverbrauchter, feinsinniger, auch ein bisschen verwöhnter Typ. Er war nicht dem Krieg ausgesetzt wie Kaspar. Männer, die den Kriegsdienst verweigern oder an Kriegen nicht teilgenommen haben, benehmen sich anders, als diejenigen, die im Krieg waren. Das strahlt auf die Persönlichkeit. Kaspar ist ein Kriegs-Geschädigter, jemand, der durch den Krieg seine Ideale verloren hat und seinen Glauben an den Sinn, nach einer besseren Welt zu suchen. Er hat durch den Krieg Agathe an Max verloren, ist eifersüchtig auf ihn, will sich rächen und liefert beide dem Samiel in mörderischer Sehnsucht aus.

Der Massenmörder von Washington war ja auch jemand, der den Golfkrieg nicht verwinden konnte, dann in seiner Beziehung scheiterte. Seine geschiedene Frau hatte von Anfang an das Gefühl, er schießt eigentlich immer nur auf sie.

Vietnam war für Amerika ein Krieg ohne Helden. Die Amerikaner wurden wegen des Kriegs verteufelt. Sie wurden nicht fertig damit, wurden schuldig. Der Golfkrieg sollte die Scharte auswetzen, und blieb auch letztlich erfolglos. Unter einem solchen Druck steht Kaspar auch. Und ähnlich der Wozzeck, der auch nicht klar kam mit dem Krieg. So ein Opfer ist Kaspar.

Jaeger - aus dem Takt

Fotos: © Steinfeldt, Schaal