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Verrückt, wie wir eben sind

Arila Siegert und Das Land des Lächelns von Franz Lehár


Premiere, Dresden, Staatsoperette, 21. / 22. Okt. 2005
Musik.Leitung: Ernst Theis
Bühne: Hans Dieter Schaal
Kostüme: Marie-Luise Strandt

Knien vor Buddha, Barry Coleman (Sou-Chong)

"Land des Lächelns" ist eine doppelte Premiere: es ist deine erste Operette. Eigentlich wolltest du Operette ja nie machen. Warum eigentlich? In deiner Zeit an der Komischen Oper musstest du ja sicher auch Operette tanzen.

Nein, da gab's keine Operetten, in denen wir tanzen mussten. Wir haben getanzt in den Opern von Götz Friedrich, Joachim Herz und Walter Felsenstein. Ansonsten - es ist sicher eine Erziehungsfrage. Operette war außerhalb von dem, was mir als künstlerisch erstrebenswert oder künstlerisch sich formulieren gelehrt wurde. Und das hat ziemlich lang angehalten. Die erste Irritation kam bei dem Ballett Der Grüne Tisch, wo Anna Markard, die Tochter von Kurt Jooss, erzählte, dass ihr Vater sehr wohl und sehr viel Operette gemacht hat und dass man das nicht ausgrenzen darf. Das habe ich nicht vergessen, aber es nicht an mich heran gelassen und dann in Dessau von Johannes Felsenstein verlangt, dass er vertraglich fixiert, dass ich nichts mit der Operette zu tun habe, wenn ich dort als Ballettdirektorin hingehe. Und erst mit dem Inszenieren hat mich diese Form interessiert: Die Verwebung von Leichtigkeit, einer deftigen Handlung und einem parodistischen Element - Tanz, Schauspiel und Oper als eine sich ergänzende oder kommentierende Einheit in einem Werk.

Ist es jetzt fast eine Liebesbeziehung geworden, gerade dadurch dass so ein Stück ja ganz neue Möglichkeiten von Witz und Leichtigkeit eröffnet, was eigentlich das Schwerste im Theater ist?

Es ist mir inzwischen genau so lieb geworden wie eine Oper zu inszenieren. Operette ist ein anderer Anspruch, man muss eine Geschichte lebensnah, verrückt wie wir eben sind, mit Witz, Ironie und Leichtigkeit erzählen. Leichtigkeit heißt ja nicht Oberflächlichkeit. Für Brecht war gute Unterhaltung ein hoher Anspruch; Valeska Gert oder Valentin waren für ihn der Ma?stab. In einer Oper wie Verdis Macbeth oder der Aida fehlen ja solche Brechungen fast ganz, die Handlung ist überhöht, im Vordergrund steht die musikalische Dramatik. Andererseits greift ja schon bei Mozart in der Zauberflöte etwa die Lust, die ganz unterschiedlichen Ebenen von Papageno-Tamino-Sarastro-Königin-Monostatos mit dieser berühmten Leichtigkeit und Distance ins Bild zu kriegen; und das Singspiel ist ja der Vorgänger der Operette. Insofern ist es wirklich reizvoll, dieses Singspiel des 20.Jahrhunderts mit den Einflüssen der Zeit, unserer Sicht von heute und der Frage, was gibt das uns, zu beleuchten. Das ist natürlich auch ein Ehrgeiz, weil man weiß: Es darf einfach nicht langweilig werden und man muss was finden, was die Sache interessant macht.

Yoo-Ra Lee-Hoff (Mi) Die gelbe Jacke Daniela Zanger (Lisa), Markus Petsch (Sou-Chong)

Das Besondere hier ist, wie schon gesagt, die spielerische Integration des Tanzes in die Handlung. Es gibt nicht die Trennung der Ebenen Musik, Tanz, Dialog, sondern alles ist oder muss wie aus einem Guss sein. Wie schafft man das?

Indem man die Forderung an sich stellt, dass, was Tanz ist oder die Tänzer machen, zur Inszenierung gehört. Das heißt, die Tänzer haben Rollen, sie sind in die theatralischen Vorgänge integriert. Der Chor muss sich ja bei mir immer sehr viel bewegen, und auch die Tänzer dürfen hier nicht so sehr bloß ihren Körper ertüchtigen, sondern sie müssen mehr Theater spielen, sodass ich dieses Geflecht zusammen kriege: Dass es nicht nummernmäßig nebeneinander herläuft, sondern dass ich das stilistisch verwebe.

Ingeborg Zanger (Lisa), Jens Winkelmann (Gustl) Hans-Jürgen Wiese (Tschang), Markus Petsch (Sou-Chong) Frank Oberüber (Gustl)

Das "Land des Lächelns" (Berlin 1929) ist ja die Umarbeitung einer älteren Operette von Franz Lehár, die der Tenor Richard Tauber sich gewünscht hatte. Die Gelbe Jacke heißt dieses ältere Stück (Wien 1923), beruhend auf einer wahren Begebenheit im Wien der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die Gelbe Jacke, obwohl im Wesentlichen in der depressiven Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, endet "happy". Die beiden Paare aus den damals doch extrem unterschiedlichen kulturellen Sphären Europa und China finden am Ende zusammen - vielleicht ja ein Cliché. Das Thema jedenfalls scheint heute im Zeichen des weltweiten Exotik-Tourismus besonders aktuell. Du hast Elemente aus der älteren Fassung in die jüngere eingefügt, die ja tragisch endet: Die Paare trennen sich aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Basis wieder, sie finden zuletzt nicht zueinander. Warum und inwieweit hast du beide Fassungen vermischt?

Mich hat die Urfassung interessiert, weil ich wissen wollte, in welchem inhaltlichen Kontext diese großen Lieder wie "Dein ist mein ganzes Herz" oder "Immer nur lächeln" stehen. In der zweiten Fassung erschloss sich mir das nicht so recht: Was ist passiert, aus welcher Konstellation heraus besingt Prinz Sou Chong alias Richard Tauber diese Gedanken, was ist das Gefühl dahinter? Das war in der Gelben Jacke sehr viel genauer motiviert. Und das hat mich dann bewogen, die beiden Stücke doch auch szenisch etwas mehr zu verflechten. Aber es handelt sich nur um einige grundlegende Motive: Zum Beispiel wird in der Gelben Jacke am Anfang des ersten Akts nicht nur der Sieg der Lisa im Pferderennen gefeiert, sondern geplant ist zugleich ihre Verlobungsfeier mit dem Leutnant Gustl. Sou Chong traut sich nicht ins Haus, weil er weiß, es würde ihn wahnsinnig schmerzen, dass die Frau, die er liebt, sich mit einem anderen verlobt. Und als er kommt, erfährt er, dass Lisa dem Gustl den Laufpass gegeben hat, und daraus keimt dieses "Von Apfelblüten einen Kranz". Sou fühlt seine Liebeshoffnung wieder aufkeimen, und es nicht nur wie in der späteren Fassung eine sozusagen Gebrauchsanweisung für die wissbegierigen jungen Mädchen Lore-Vally-Toni-Fini, wie man in China flirtet. Deswegen untergräbt es Lisa in unserer Inszenierung von Anfang an, dass ihre Siegesfeier im Amazonenrennen zu einer Verlobungsfeier wird.

Yoo-Ra Lee-Hoff (Mi), Frank Oberüber (Gustl) Yoo-Raa Lee-Hoff (Mi)

Die Anlage des zweiten Paars ist ja in der "Gelben Jacke" auch ganz anders. Zwischen Mi, der Schwester Sou Chongs, und Gustl, als er nach China kommt, entspinnt sich, zumal in der ersten Fassung, auch was ziemlich Konkretes.

Für mich heißt das: Gustl kämpft um die Lisa, verhält sich auch ritterlich, bringt sie auch zurück. Aber eigentlich ist sie für ihn eine Nummer zu groß. Sein Entzücken und dies paradiesische Moment zwischen Mann und Frau, dass er sein Weib dort "erkennt" - das ist ganz eindeutig erzählt musikalisch und textlich, das findet er in der Mi. Also es ist keine Oberflächlichkeit, dass er die Mi benutzt, sondern er verliebt sich wirklich in sie. Und das ist ein Grund für mich, auch dieses Paar ernst zu nehmen und auch diese Beziehung am Ende nicht auseinander gehen zu lassen. Sondern wenn man wirklich liebt, dann bleibt die Liebe ja sowieso.

Barry Coleman (Sou-Chong) und die 4 Bräute Rainer König (Eunuch), Frank Oberüber (Gustl) Ingeborg Schöpf (Lisa)

In der "Gelben Jacke" kommen beide Paare am Ende zusammen. Sou entledigt sich des Ministeramts. Er entsagt der Macht und nicht der Frau.

Sou und Mi kommen ein Jahr später nach Wien. Und dann gibt's ein Happy End. In der zweiten Fassung ist das auch angelegt. Es ist nur abgebogen ins Tragische. Aber die Lieder sprechen eine andere Sprache.

Jeanette Oswald (Mi), Jens Winkelmann (Gustl) Sou_Chong "Du bist nur eine Sache in China"

Tanz wird in Musiktheater-Inszenierungen heute oft gestrichen, auch weil die Tanzensembles ja leider immer mehr aus den Theatern weggespart werden. Inwieweit war der Tanz für dich wichtig bei dieser Arbeit, zumal bei diesem Stück?

Ich wollte mich schon damit auseinander setzen. Ich wollte wissen, was diese Form, diese Gattung ist. Und insofern habe ich mich auch keinem dieser Tänze entzogen, ich habe die Tänzer eingearbeitet, was freilich nicht unproblematisch ist. Die Tänzer erwarten, dass sie für Tänzer "anspruchsvolle" Bewegungsfolgen choreografiert bekommen - sie wollen Aufgaben, die sie herausfordern, die für sie schwer sind, wo sie sich ertüchtigen, wo sie schwitzen können. Das haben sie hier nicht bekommen. Insofern verstehe ich die Tänzer, ich bin ja auch aus dem Stall: Man will's eben wissen. Aber in eine Inszenierung integriert zu sein und darin mitzuwirken ist etwas Anderes, und man kann es nicht von außen sehen und beurteilen, weil man mit drin steckt. Und das war ein Problem für die Tänzer.

Frauenpalast, 3.Akt Aufmarsch der Drachen, 2.Akt

Das Thema dieser Operette ist wie gesagt überraschend aktuell. Operette, heißt es oft, sei eher was für ältere Menschen. Jedenfalls ist das Publikum oft ein älteres. Wie siehst du die Chance für Operette heute bei einem jüngeren Publikum? Worauf kommt es an, um so ein Stück auch einem jüngeren Publikum nahe zu bringen?

Für mich war es aufschlussreich, wie eine Klasse von 13-, 14-Jährigen, Jungen und Mädchen, die Inszenierung beobachtet hat. Sie waren in einer Durchlauf-Probe, kamen dann noch einmal zu einer Bühnen-Probe, waren vom ersten bis zum letzten Moment der Probe da, mucksmäuschenstill und diszipliniert. Danach haben sie Berichte geschrieben, und die stimmten mich sehr froh, weil sie sehr genau beobachtet haben. Sie haben beurteilt, wie die Arbeit läuft: Dass es sehr kollegial zugeht, dass man das Gefühl hat, alle sind locker aber doch sehr konzentriert - das haben einige geschrieben. Auf die Frage, wann das Stück spielt, haben sie fast alle gemeint: Mitte 19.Jahrhundert. Nur ein Mädchen hat das auf die 1920-iger Jahre datiert, wohl von den Eltern instruiert. Also ein Zeitgefühl haben Jugendliche ohnehin noch nicht so, aber sie waren interessiert. Und die meisten fanden den spannendsten Moment in dem wirklichen Höhepunkt, wo Sou zu Lisa sagt: Du bleibst hier in China, und wenn du nicht machst, was ich will, kann ich dich köpfen lassen. Die Reaktionen der Kinder zeigen ganz eindeutig, dass eine gute Geschichte für Jung und Alt, für alle Leute heute und immer interessant bleibt und dass es ziemlich egal ist, wann die stattfindet, weil sie immer wieder stattfindet. Insofern halte ich diese Diskussion, dass Operette nur für ältere Menschen interessant sei, für müßig. Wenn es gut gemacht ist und wenn die Inszenierung ästhetisch und künstlerisch anspruchsvoll ist, dann kommen die Leute, die einfach gutes Theater sehen wollen, zumal ja Lehár da eine dolle Partitur geschrieben hat.

gfk, im Okt. 2005
Der Tonausschnitt ist
eine der letzten Aufnahmen mit Richard Tauber vor seinem Tod 1948
mit Franz Lehár am Pult eines Sonderkonzerts